Kino

»Ihr zweites Leben ist anders«

Tatjana Moutchnik Foto: Stephan Pramme

Frau Moutchnik, Ihr Kurzfilm »A Veteran’s Destiny«, in dem ein pensionierter Schauspieler vorgibt, ein Veteran zu sein, wird beim Filmfestival Max-Ophüls-Preis gezeigt. Was hat Sie zu dieser Handlung inspiriert?
Zum einen wollte ich unbedingt einen Film über den sowjetischen Mikrokosmos in Israel drehen. Zum anderen haben mich die Bilder des israelischen Fotografen Oded Balilty, der die russische Community in Israel in ihrem Alltag porträtiert hat, inspiriert. Seine Bilder waren todtraurig, weil man in den Gesichtern der alten Männer die Sinnlosigkeit des Krieges erkennt. Und auf eine gewisse Art und Weise sah ihnen auch an, wie stolz sie waren, ihre Orden zu zeigen und sie zu tragen. Ausgehend von diesen Fotos haben Agnia Galesnik, die Autorin des Films, und ich angefangen, uns den Charakter von Grischa auszudenken.

Können Sie ihn kurz beschreiben?
Grischa ist ein Hochstapler, der – im Russischen gibt es diesen Ausdruck »das erste Leben« und »das zweite Leben«, um die Zeit vor und nach der Auswanderung zu beschreiben – seinem zweiten Leben einen neuen Sinn geben möchte und es ein wenig aufhübscht.

Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem »russischen Mikrokosmos« gemacht?
Ich habe Verwandte in Israel und Freunde meiner Eltern, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel ausgewandert sind. Für meine Eltern stand nie zur Debatte, nach Israel zu gehen. Sie wollten entweder in die USA oder nach Deutschland. Während meines Semesters an der Bezalel-Akademie in Jerusalem bewegte ich mich in einem Freundeskreis, der - viel mehr als ich – einen Bezug zur russischen Sprache und Kultur hatte. Einige Freunde, die vor ungefähr fünf Jahren, während der sogenannten Putin-Alija, nach Israel gekommen sind, waren auch darunter. Von denen sind mittlerweile manche auch schon wieder zurück nach Russland gegangen, weil sie dort Arbeit gefunden haben oder weil sie einfach nicht mehr in Israel leben wollten.

Wie haben Sie die Schauspieler zu »A Veteran’s Destiny« gefunden?
Wir haben in Altersheimen recherchiert, haben uns dort einfach an Tische gesetzt und gehofft, mit den älteren Frauen und Männern ins Gespräch zu kommen. Einige haben uns zu sich eingeladen, haben uns Kuchen und Kekse angeboten – es war sehr liebevoll. Die drei Hauptdarsteller sind Theaterschauspieler.

Wie sind Altersheime in Israel?

Etwas anders als hier in Deutschland. Es wohnen manchmal zwei Generationen in den Heimen. Das war mir selbst nicht so bewusst. Zum Teil leben unter 60-Jährige dort, die auch schon eine andere Verbindung zum Krieg und dadurch auch zu den Veteranen haben.

Haben die Schauspieler in Ihrem Film auch aus ihrem ersten und zweiten Leben erzählt?
Absolut. Das Schöne war, dass unsere Castings immer im jeweiligen Zuhause des Schauspielers stattgefunden haben. So bekamen wir auch einen Einblick, wie die Menschen leben, wie sie sich arrangiert haben. Viele sind zum Beispiel mit über 50 aus der ehemaligen Sowjetunion weggezogen und haben in Israel keine Anstellung mehr erhalten. Boris Ahanov, der den Grischa spielt, ist einer von denen, die es geschafft haben – er ist am renommierten »Gescher«-Theater in Tel Aviv. Aber viele andere sind an Off-Theatern, geben Zeichenunterricht und leben von einer bescheidenen Unterstützung. Die Schauspielerinnen zum Beispiel haben uns durch ihre Wohnungen geführt, uns alte Bilder aus der Sowjetunion gezeigt, haben uns die Fotos erklärt. Sie wollten uns ihr erstes Leben zeigen. Ihr zweites Leben ist anders: Manche haben Enkel und konzentrieren sich auf die Familie. Erstaunlich ist, dass alle älteren russischen Schauspieler untereinander sehr gut vernetzt sind – um eben noch irgendwo mitspielen zu können, falls sich etwas ergibt.

Sind solche sehr persönlichen Castings eher schwierig oder hilfreich für Sie als Filmemacherin?

Ich fand es sehr bereichernd und schwebte immer zwischen Traurigkeit und großer Dankbarkeit, dass die Menschen ihr Leben mit mir teilen. Wir wurden ganz oft melancholisch.

Warum?
Nun, ich komme nicht aus einer Künstlerfamilie, und bei meinen Großeltern war es so, dass sie sich ziemlich schnell damit arrangiert haben, in Deutschland wie Rentner zu leben. Sie machten einen Deutschkurs, aber ansonsten waren sie Oma und Opa. Bei Schauspielern oder Künstlern geht das ja das ganze Leben lang so weiter. Vielleicht – vermute ich mal – gibt es bei Künstlern, die ausgewandert sind, nicht diesen Schnitt, dass sie nach einem langen Berufsleben in Rente gehen. Sie wollen weiterspielen. Aber es gab nicht nur Trauriges. Es war größtenteils sehr inspirierend, wie viel Energie die teils schon betagten Menschen haben.

Mit der Filmemacherin sprach Katrin Richter.

Der Trailer zum Film:
www.youtube.com/watch?v=rc0JyewmYd8

Literatur

Bestseller aus Frankreich: »Der Barmann des Ritz«

Philippe Collin hat ein packendes Porträt über einen jüdischen Barkeeper im Zweiten Weltkrieg geschrieben

von Sibylle Peine  16.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Berlin

Ein außergewöhnliches Konzert

Lahav Shani hielt die Spannung mit den Händen – der Dirigent und die Münchner Philharmoniker wurden mit Standing Ovations gefeiert

von Maria Ossowksi  16.09.2025

Berlin

Kulturausschuss lädt Dirigenten Lahav Shani zu Gespräch ein

Die Konzert-Absage an den israelischen Dirigenten sorgt für Kritik - und für Gesten der Solidarität. Nach einem Konzert in Berlin macht auch der Kulturpolitiker Sven Lehmann eine Ansage

 16.09.2025

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Bremen

Seyla Benhabib erhält den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken

Die Jury würdigte Benhabib als »herausragende politische und philosophische Intellektuelle«

 15.09.2025

Eurovision

Israel hält nach Boykottaufrufen an ESC-Teilnahme fest

Israel will trotz Boykott-Drohungen mehrerer Länder am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. Wie andere Länder und Veranstalter reagieren

 15.09.2025