Aviel Cahn

»Ich trete ein großes Erbe an«

Sänger und Opernintendant: Aviel Cahn (48) Foto: picture alliance/KEYSTONE

Aviel Cahn

»Ich trete ein großes Erbe an«

Der Schweizer Musiker und Jurist über seine Berufung zum Intendanten der Deutschen Oper Berlin

von Stephen Tree  23.02.2023 06:40 Uhr

Herr Cahn, Sie haben 2004 mit 30 Jahren als Leiter der Berner Oper angefangen, sind 2009 Chef der Flämischen Oper Antwerpen geworden, um 2019 Intendant in Genf zu werden. Die von Ihnen geleiteten Häuser wurden für besondere künstlerische Leistung ausgezeichnet. 2026 übernehmen Sie die Leitung der Deutschen Oper Berlin. Wie würden Sie Ihren Beruf beschreiben?
Der Opernintendant hat die künstlerische und die betriebliche Gesamtverantwortung für das Opernhaus. Er steht für die Kreativität der künstlerischen Inhalte, muss aber auch dafür sorgen, dass die auf geschäftsführender Basis gut abgestimmt sind.

Wie darf man sich Ihren Tagesablauf vorstellen?
Das Schöne daran ist, dass der Tagesablauf eines Intendanten jeden Tag etwas anders ist. Man hat mit Proben zu tun, mit Sängern oder Sängerinnen, die vorsingen, mit technischen Fragen zu Produktionen, trifft sich mit Künstlern, um über künftige Projekte zu sprechen, oder unterhält sich mit Politikern über kulturpolitische Fragen oder mit Mitarbeiterräten über eher gewerkschaftliche Dinge. Man braucht dafür auf jeden Fall kreative Ideen, ein, glaube ich, wirklich breit gefächertes künstlerisches Interesse, das auch über die Oper hinausgeht, man braucht hohe Kenntnisse der klassischen Musik, man muss sich künstlerisch sehr gut auskennen – und neugierig sein. Und Dinge hinterfragen. Und auf der anderen Seite braucht’s trotzdem einen gut organisierten Verstand, weil man ja einen sehr komplexen Betrieb leiten muss. Also, die Management-Seite ist nicht zu unterschätzen.

Sie scheinen schon sehr früh gewusst zu haben, dass Sie Intendant werden wollen. In ganz jungen Jahren haben Sie die Doktorarbeit »Der Theaterintendant – Seine rechtliche Stellung in Theorie und Praxis« geschrieben, und, schwuppdiwupp, sind Sie’s geworden?
Ich bin von Haus aus mit der Kultur, mit der Musik, mit dem Theater aufgewachsen, durch meine Eltern, durch meinen Vater, und ich habe einfach früh, sofort, die Affinität dazu gehabt, und sie hat mich nicht mehr verlassen. Und ich habe meine künstlerische Ausbildung und meine Studien in Jurisprudenz ein bisschen parallel betrieben, immer in der Hoffnung, dass es dann darauf hinausläuft, dass ich irgendwo einen Beruf ausüben kann, der im Kontext mit Oper oder Festival steht. Und da hat dieses Jurastudium sicher sehr geholfen, und ich bin bei Weitem nicht der einzige Opernintendant, der Jura studiert hat, das ist sicher eine gute Hilfe.

Sie haben aber auch Gesang studiert, das heißt, Sie müssen gut Klavier spielen können. Und Singen sowieso.
Am Klavier war ich eher faul, aber Gesang habe ich sehr ambitioniert studiert und dann irgendwann gefunden, ich genüge meinen eigenen Maßstäben nicht, habe aber dafür die Management-Karriere im Bereich Oper stärker in den Fokus gerückt.

Gibt es an dieser Tätigkeit, die Sie machen, etwas spezifisch Jüdisches? Haben Sie auch jüdische Vorbilder?
Nein. Aber es gab immer wieder auch sehr gute jüdische Opernintendanten, auf jeden Fall. In Deutschland vor allem Rolf Liebermann, der auch aus Zürich kam, der viele Jahre in Hamburg Intendant war und dann in Paris an der Oper. Er hat übrigens auch Jura studiert, war aber auch Komponist, wirklich ein Multitalent. Ein weiteres berühmtes Vorbild ist Gustav Mahler, der Komponist, der auch Operndirektor war, an der Wiener Hofoper damals. Und Gustav Mahler musste ja noch zum Christentum konvertieren, ohne hätte er den Job nicht bekommen. Das musste ich jetzt zum Glück nicht mehr machen in Berlin.

Sie kommen aus einer jüdischen Familie?
Drei Viertel meiner direkten Vorfahren sind schon seit Langem in der Schweiz; bis auf den Vater meines Vaters. Der ist während des Zweiten Weltkriegs aus dem besetzten Frankreich in die Schweiz geflüchtet.

Eine weitere Frage an Sie als Jude: Es gibt in Deutschland eine »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit«, ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben.
Nee, kenne ich nicht.

Etwas sehr Deutsches, sehr Hiesiges, sehr Lokales. Es geht um die Israel-Boykottbewegung BDS. Es hängt auch mit der Debatte um Achille Mbembe zusammen, einen Historiker aus Kamerun …
Die Ruhrtriennale, ja, davon habe ich gehört.

Haben Sie da schon eine Haltung?
Ich persönlich bin immer vorsichtig, sofort »Antisemitismus« zu schreien, wenn irgendwo etwas Kritisches gesagt wird. Auf der anderen Seite finde ich auch, man muss den Finger draufhalten, wenn jemand oder etwas eigentlich Grenzen überschreitet. Einfach pauschal irgendwie für etwas oder pauschal irgendwie gegen etwas zu sein, funktioniert bei diesem Thema nicht. Das ist meine Meinung, ohne dass ich jetzt die Initiative genau kenne: Ja, es gibt, finde ich, eine kritische Haltung zu Israel, das ist gerade heute ein großes Thema; diese Haltung muss man haben dürfen. Auf der anderen Seite in antisemitische Stereotypen zu verfallen, das geht natürlich auch nicht.

Das musikalische Berlin blickt auf eine lange jüdische Tradition zurück. Wird das Einfluss auf Ihre Arbeit haben?
Also spezifisch – wenn ich nach Berlin komme, werde ich mich sicher auch intensiv mit der Geschichte dieser Stadt auseinandersetzen, als Intendant der Deutschen Oper. Es gab ja bis jetzt in der Berliner Opernszene zwei hochkarätige jüdische Figuren, mit Daniel Barenboim und mit Barrie Kosky, die jetzt beide nicht mehr da sind. Barenboim hat sein Amt niedergelegt, und Barrie Kosky ist nicht mehr Direktor der Komischen Oper. Ich trete da also ein großes Erbe an, wenn man jetzt die Operndirektoren mit unserem Gebetbuch anschaut. Das wird auf jeden Fall spannend, und ich werde das sicherlich auch von dieser Seite her ernst nehmen.

Mit dem Generaldirektor des Grand Théâtre de Genève sprach Stephen Tree.

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