Trash-TV

Ich bin Jüdin, holt mich hier raus!

Und raus bist du: Von Indiras Reizen haben die Dschungelcamp-Zuschauer offenbar genug gesehen. Am Donnerstag wurde die zum Judentum übergetretene Ex-Bro›Sis-Sängerin vom Publikum ‹rausgewählt. Foto: dpa

Ein jüdischer Staat werde erst dann ein gewöhnliches Gemeinwesen sein, hat Elieser ben Jehuda, der Vater der modernen hebräischen Literatur einmal gesagt, wenn es dort auch jüdische Nutten und Diebe gäbe. Auf hiesige Verhältnisse übertragen, könnte man das in etwa so paraphrasieren: Die deutsch-jüdischen Beziehungen sind erst dann normal, wenn peinliche jüdische Figuren in der Öffentlichkeit auftreten können, ohne dass um ihr Judentum viel Aufhebens gemacht wird.

Eine Utopie? Von wegen. Die erträumte Normalität ist inzwischen Wirklichkeit. Zumindest in der erfolgreichen RTL-Trashsendung Ich bin ein Star, holt mich hier raus!. Unter den elf C- bis Z-Prominenten, die sich dort zwangskollektiviert im Dschungelcamp tummeln und allerlei putzige Mutproben mit ekligem Getier absolvieren müssen, befindet sich neben Gestalten wie dem Ex-Kommunarden Rainer Langhans, der Jacob-Sister Eva und der »Frauenknast«-Lesbe Katy Karrenbauer auch eine gewisse Verena »Indira« Weis.

Die 31 Jahre alte Tochter eines Oberstudienrats aus dem hessischen Groß-Gerau trat erstmals 2001 ins Licht der Öffentlichkeit, als sie es in einer TV-»Talentshow« namens Popstars ins Finale schaffte und Mitglied der Band Bro›Sis wurde. Dort schied Indira anderthalb Jahre später wieder aus, um sich, wie die RTL-Homepage es euphemistisch formuliert, »neu zu orientieren«.

Sie trat ein paar Mal in Nebenrollen in Fernseh-Vorabendserien auf, machte erfolglose Solo-CDs, wurde in den USA wegen unerlaubter Einreise festgenommen – und erlebte eine spirituelle Wende. Noch mal RTL: »2007 bis 2009 studiert Indira die Tora in Jerusalem und lernt dazu Hebräisch. In dieser Zeit konvertiert sie zum Judentum.«

silikonverstärkt Es muss ein äußerst liberaler Beit Din gewesen sein, bei dem Indira ihren Giur vollzogen hat. Nach »Zniut«, den Regeln der Züchtigkeit, wurde sie wohl nicht gefragt. Unsere neue Glaubensgenossin zeigt sich öffentlich so, wie traditionellere jüdische Frauen es nur in der Mikwe wagen würden. In der aktuellen deutschen Playboy-Ausgabe präsentiert Indira gerade ihre weiblichen Geschlechtsmerkmale en gros und en détail. Dazu erfährt man, dass die junge Dame auf Sex im Freien steht – »im Meer, im Park, wo es sich halt ergibt«. Über das Judentum kein Wort.

Auch bei Ich bin ein Star, holt mich hier raus! spielt der Glaube der Väter keine Rolle. Lediglich am Montag dieser Woche kam er kurz zur Sprache, als Frau Weis ihrer – inzwischen ausgeschiedenen – Mitcamperin Sarah zu erklären versuchte, dass sie auch als Jüdin Wachteln essen darf, weil koscher nicht gleich vegetarisch ist. Ansonsten fällt Verena-Indira (welchen hebräischen Vornamen sie beim Übertritt angenommen hat, ist nicht bekannt) vor allem durch offensiven Einsatz ihrer silikonverstärkten Rundungen auf.

Wie viele Töchter Israels ist sie kein modisch magersüchtiges Model, sondern zählt zu dem Typus Frau, den man auf Jiddisch »saftig« nennt. Männer mögen das. So befassen sich denn auch die meisten Kommentare im Dschungelcamp-Forum vor allem lobend mit der Oberweite der Dame. Kein Einziger der 230 Beiträge dagegen hat ihr Judentum zum Thema. Niemand schlägt betroffen einen Bogen zur Schoa, keiner sorgt sich um die Rechte der Palästinenser. Auch nach dem Schächten wird nicht gefragt und warum die armen Tiere dabei so gequält werden.

Autoren und Leser deutscher Feuilletons werden sich dadurch wahrscheinlich in dem Vorurteil bestätigt sehen, dass die Dschungelcamp-Zuschauer bildungsferne Unterschichtler sind. Das Gegenteil ist richtig. Die Fans von Ich bin ein Star, holt mich hier raus! sind mutmaßlich genauso gut politisch informiert wie dauerempörte Gutmenschen. Anders als die wissen sie aber Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wen interessiert Indiras Judentum, wenn es um wirklich Wesentliches geht? Zitat eines Dschungelcamp-Foristen: »Ihre Titten sind wirklich ganz brauchbar.«Antwort eines Mitdiskutanten: »Der Arsch ist auch nicht schlecht!«

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