Leon de Winter

»Ich bin ein pessimistischer Realist«

Foto: dpa

Leon de Winter

»Ich bin ein pessimistischer Realist«

Leon de Winter glaubt, dass das europäische Judentum bis 2050 verschwunden sein wird

von Ralf Balke  23.11.2023 15:48 Uhr

Um Worte war Leon de Winter noch nie verlegen. Als sich vor einigen Tagen Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema für einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas aussprach, schrieb der niederländische Erfolgsautor Leon de Winter auf X, vormals Twitter, dass es da leider zwei Probleme gibt. Israel möchte die in den Gazastreifen verschleppten Menschen zurückholen, die Islamisten diese aber weiterhin in ihrer Gewalt behalten. Es gäbe da aber eine elegante Lösung: »240 Bürgermeister nehmen den Platz der Geiseln ein. Die israelischen Geiseln kehren nach Israel zurück, und die Hamas behält die Geiseln: 240 westliche Bürgermeister. Auf diese einfache Weise machen die Bürgermeister einen Waffenstillstand möglich.«

Nun meldete sich der Schriftsteller, dessen Romane »Sokolows Universum«, »Recht auf Rückkehr« oder »Geronimo« nicht nur absurd-komische Züge tragen, sondern immer wieder zu den Themen »Israel« oder »politischer Islam« Stellung beziehen, in einem Interview mit der »Times of Israel« zu Wort. Der Anlass ist ein ganz konkreter, und zwar der seit dem 7. Oktober in Europa sprunghaft angestiegene Antisemitismus, der ebenfalls in den Niederlanden zu spüren ist.

Er selbst zeige sich derzeit nicht allzu häufig in der Öffentlichkeit – was ebenfalls einer schweren Beinverletzung geschuldet ist, die sich de Winter Ende September in Tel Aviv zugezogen hatte, woraufhin der Schriftsteller noch vor dem 7. Oktober in die Niederlande zurückgekehrt war. Deshalb sei er ohnehin an das Haus gefesselt.  

Trotz der unsichereren Lage wäre de Winter im Moment aber lieber in Israel. »Es ist sehr schwierig, hier und nicht dort zu sein und zu wissen, was dort vor sich geht und nicht helfen zu können, und sei es nur, Sandwiches vorzubereiten oder Vorräte zu packen«, so der Sohn zweier Schoa-Überlebender.

Zur Sprache kommt ebenfalls die in den Medien zu beobachtende Äquidistanz gegenüber Israel und den Palästinensern. »Sie entspringt dem Bedürfnis, von den Juden ihren Sonderstatus als Opfergruppe zurückzufordern, den sie nach dem Holocaust erhalten haben. Europa wird den Juden Auschwitz nie verzeihen.«

Zwar sind für de Winter Antisemitismus und islamistische Gewalt alles andere als neue Phänomene - was ihn aber dennoch überraschte, waren die Dimensionen sowie die Bündnisse, die sich auf einmal überall in Europa auftaten, und zwar aus reiner Feindschaft gegenüber dem jüdischen Staat. »Das hatte ich nicht erwartet. Es geht alles sehr schnell.«

Daher lautet sein düsteres Fazit: »Ich glaube, dass das jüdische Leben in Europa bis 2050 der Vergangenheit angehören wird.« Die hoffnungslose Liebe von Juden wie ihm zu dem alten Kontinent dürfte bald sterben. »Das ist unvermeidlich. Aber selbst ich, ein pessimistischer Realist, habe nicht vorausgesehen, dass es in so vielen Städten so schnell völlig aus dem Ruder laufen würde.«

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass de Winter so pessimistisch in die Zukunft schaut. Bereits 2017 sagte er Ähnliches: »Was haben unsere Eltern und Ahnen dieses Europa geliebt«, so der Schriftsteller gegenüber dem Publizisten Henryk Broder in dem Dokumentarfilm »Der ewige Antisemit«.  »Ich glaube, wir erleben gerade die letzte Phase der jüdischen Existenz in Europa. Es war eigentlich eine nie beantwortete Liebe.« Nur sprach er davon, dass dies vielleicht erst in 40, 50 oder mehr Jahren der Fall sein könnte. Jetzt sieht de Winter dieses Ende viel früher kommen.

Eurovision Song Contest

CDU-Politiker: ESC-Boykott, wenn Israel nicht auftreten darf

Steffen Bilger fordert: Sollte Israel vom ESC ausgeschlossen werden, müsse auch Deutschland fernbleiben. Er warnt vor wachsenden kulturellen Boykottaufrufen gegen den jüdischen Staat

 18.09.2025

Ehrung

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für Tamar Halperin

Die in Deutschland lebende israelische Pianistin ist eine von 25 Personen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Oktober ehrt

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Architektur-Fotografien jüdischer Landhäuser

Unter dem Titel »Vision und Illusion« werden ab Samstag Aufnahmen gezeigt, die im Rahmen des an der University of Oxford angesiedelten »Jewish Country Houses Project« entstanden sind

 18.09.2025

Debatte

Rafael Seligmann: Juden nicht wie »Exoten« behandeln

Mehr Normalität im Umgang miteinander - das wünscht sich Autor Rafael Seligmann für Juden und Nichtjuden in Deutschland. Mit Blick auf den Gaza-Krieg mahnt er, auch diplomatisch weiter nach einer Lösung zu suchen

 18.09.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  18.09.2025

»Long Story Short«

Die Schwoopers

Lachen, weinen, glotzen: Die Serie von Raphael Bob-Waksberg ist ein unterhaltsamer Streaming-Marathon für alle, die nach den Feiertagen immer noch Lust auf jüdische Familie haben

von Katrin Richter  18.09.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. September bis zum 2. Oktober

 18.09.2025

Fußball

Mainz 05 und Ex-Spieler El Ghazi suchen gütliche Einigung

Das Arbeitsgericht Mainz hatte im vergangenen Juli die von Mainz 05 ausgesprochene Kündigung für unwirksam erklärt

 18.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 18.09.2025