Fernsehen

Fauda, Hatufim, Shtisel

Mal ganz salopp ausgedrückt: Was Die Sopranos für die Mafia waren, ist Fauda für den Nahostkonflikt. Ganz nah dran an Blut, Schweiß und Tränen erzählt die israelische Fernsehserie über eine Spezialeinheit im Kampf gegen Hamas-Terroristen davon, welchen Preis die Menschen zahlen. Auf beiden Seiten.

Dass Fauda sich die Antwort nie leicht macht, hat bereits die erste Staffel zur erfolgreichsten TV-Serie in Israel gemacht – auch unter arabischen Israelis. Und seit Dezember 2016 ist sie ein weltweiter Netflix-Hit. Trotz Untertiteln. Dieser Zeitgeist-Volltreffer ist der bisherige Höhepunkt der jüngsten Erfolgsgeschichte Israels: Nach der Start-up-Nation kommt die Creative-Ideas-Nation.

»homeland« Israel ist zu einem der begehrtesten Ideengeber für Film- und Fernsehformate geworden. Genau gesagt, hält der jüdische Staat Platz drei auf Hollywoods Liste der TV-Importe – nach Großbritannien und den Niederlanden. Den Durchbruch markierte Gideon Raffs gefeierte Serie Hatufim (Prisoners of War), die seit 2011 als Homeland die TV- und Streaming-Welt im Sturm eroberte und mehrere Golden Globes abräumte.

Ungefähr zeitgleich glänzten Helen Mirren und Jessica Chastain in dem Agententhriller The Debt, dem Remake von HaHov mit Gila Almagor. Und auch die Psychologen-Serie BeTipul sowie die Geschichte einer Kibbuz-Familie mit autistischem Kind, Yellow Peppers, wurden gesehen, gekauft und neu aufgelegt: als In Treatment von HBO in den USA und als The A Word von der BBC in Großbritannien.

Friends-Miterfinderin Marta Kauffman ist gerade dabei, die israelische Serie Shtisel zu amerikanisieren. Der Blick in die Köpfe und Herzen orthodoxer Juden soll dann Emmis heißen und in Brooklyn spielen statt in Jerusalem. Amazon ist mit an Bord, und die Hauptrolle soll Natalie Portman spielen. Saturday Night Live-Star Amy Poehler hat sich derweil die Rechte an der Komödie über gelangweilte Mädchen im Militärdienst, Zero Motivation, gesichert. Fox hat bei Jehuda Levis Ego-Drama A Very Important Person (Ish Hashuv Meod) zugegriffen.

Die Castingshow Rising Star des US-Senders ABC und die Spielshow Boom! von Fox sind ebenfalls als Idee in Israel entstanden. Genauer gesagt, in dem Tel Aviver Medienunternehmen Keshet. Keshet, das auch für Hatufim verantwortlich zeichnet, gehörte zu den Ersten, die die Möglichkeiten dieses neuen Marktes der Ideen erkannten. Und sie haben sich auf die USA spezialisiert: Homeland-Erfinder Gideon Raff und seine Serie Tyrant, der Spionage-Thriller Allegiance (ursprünglich The Gordin Cell) und die Mystery-Archäologen-Action Dig mit Jason Isaacs und Anne Heche, sie alle landeten auf den großen US-Kanälen.

kreativ »Es geht einzig um Kreativität«, begründet NBC-Entertainment-Chefin Jennifer Salke, die Allegiance eingekauft hat, das große Interesse an israelischen Ideen. »Niemand schaltet ein, wenn es nicht großartig ist. Deshalb suchen wir auch außerhalb nach Inspiration, und Israel fällt einfach auf.« Als nächster potenzieller Serienhit steht Keshets False Flag (Kfulim) bei Fox International in den Startlöchern. Außerdem läuft demnächst bei Netflix die US-Version der Teenagerserie The Greenhouse (HaChamama) an.

Zu Keshets Konkurrenten gehören die Dori Media Group und Armoza Formats. Doris Scoop war der Verkauf von BeTipul an den Sex and the City-Sender HBO im Jahr 2009. Der erfolgreichere Markt ist allerdings bisher der südamerikanische, wo die Verwechslungs-Soap Lalola über einen Mann, der in eine Frau verwandelt wird, zum Hit und bald in alle Welt verkauft wurde. Übrigens auch in muslimische Länder. Bei Armoza liegt der Fokus wiederum auf Reality- und Spielshow-Formaten wie The Final Four und Curvy Supermodel. Letzteres war in Deutschland mit großem Erfolg bei RTL2 zu sehen. Auf dem US-Markt hat sich das israelische Unternehmen mit der Thriller-Serie Hostages (Bnei Aruba) einen Namen gemacht.

Es habe ein bisschen gedauert, aber dann habe Hollywood erkannt, dass die israelische Kreativität beim US-Publikum ankommt, sagte Armoza-Chef Avi Armoza kürzlich im Gespräch mit dem »Forbes«-Magazin. Israelis würden sich schließlich im amerikanischen Fernsehprogramm sehr gut auskennen. »Es sind die Menschen, die Israels Erfolg ausmachen«, sagt denn auch Entertainment-Mogul Haim Saban. »Menschen, die aus 70 Ländern gekommen sind, jeder mit seiner eigenen Kultur und seinen eigenen Gewohnheiten, und irgendwie haben sie es geschafft, diesen magischen Ort zu erschaffen.«

Geschichten Fakt sei, sagt Saban, dass diese Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen zusammenarbeiten und Inhalte schaffen, die bei vielen Zuschauern auch außerhalb Israels ankommen. »Es macht einfach Sinn.« Israelis seien großartige Geschichtenerzähler, sagte schließlich Alon Shtruzman, CEO von Keshet International, im Interview mit der »Financial Times«. Das Geschichtenerzählen sei Teil des Jüdischseins – und Israel als konfliktreiches Land ein großartiges Fundament dafür.

Zu guter Letzt sorgt wohl auch der überschaubare Markt in Israel selbst für den vollen Einsatz der Fantasie und des israelischen Improvisationstalents. Es gibt weder große Studiolandschaften noch riesige Budgets. Gideon Raff hatte für die gesamte erste Staffel von Hatufim das gleiche Budget zur Verfügung wie Hollywood für die erste Homeland-Folge. »Wenn die Möglichkeiten fehlen, müssen die Geschichten dichter sein, das Drama näher und intensiver – das ist der Schlüssel zur Kreativität in diesem Land«, sagt Danna Stern, Programmdirektorin und Einkäuferin beim israelischen Medienkonzern Yes.

Hollywood hat sich offensichtlich Albert Einsteins Weisheit zurechtgebogen: Erfolg heißt wissen, wo er zu finden ist.

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