Schoa-Überlebender

»Es ist nützlich, darüber zu sprechen«

Leon Weintraub bei Markus Lanz

Am Neujahrstag wurde der Schoa-Überlebende Leon Weintraub 98 Jahre alt. Im Studio von »Markus Lanz« merkte man ihm sein hohes Alter aber nicht an. Mit klarer Stimme und einem ausgezeichneten Erinnerungsvermögen erzählt Weintraub von seinem Schicksal, vom Kriegsbeginn im September 1939 und der Einweisung seiner Familie ins jüdische Ghetto seiner Heimatstadt Litzmannstadt ein Jahr später bis zu seiner erfolgreichen Flucht in Süddeutschland im April 1945, kurz vor Kriegsende.

Weintraub verwendet bewusst den deutschen Namen der Stadt und nicht den polnischen, Lodz. 1944 wird das Ghetto Litzmannstadt liquidiert, Leon, seine Mutter und seine Schwestern werden in einem Viehwaggon nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Nur durch Zufall entkommt er dort dem Schicksal der meisten Juden: dem Tod.

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Seine Mutter hat weniger Glück. Mit ihrer zehn Jahre älteren Schwester Eva an der Hand wird sie an der Selektionsrampe in Birkenau nach rechts geschickt, in die Gaskammer. Es belaste ihn noch heute, sagt Leon Weintraub, dass seine Mutter die Selektion nicht überlebt habe, weil seine Tante sie mitgezogen habe.

Ständig habe ihn Geruch von verbranntem Fleisch in der Luft gelegen. Ob ihm klar gewesen wäre, dass in Auschwitz Menschen verbrannt würden, fragt Lanz nach. Weintraub: »Keine Ahnung. Ich habe den Mund nicht aufgemacht, ich kannte ja keinen.«

Der Überlebende weiter: »In der Medizin gibt es den Ausdruck Katatonie, der Ausdruck der Erstarrung. Man sieht, hört, kann Befehle ausführen, aber hat keine höhere Hirntätigkeit. Man ist wie in einem Kokon eingeschlossen.« Aus einem Selbsterhaltungstrieb habe er gar nicht richtig wahrgenommen, was um herum geschehen sei. »Sonst wäre ich durchgedreht.«

Detailliert erzählt er von seiner Zeit in Auschwitz. Später wird er ins KZ Groß-Rosen verlegt, wo er als gelernter Elektriker Kabel verlegen und auf Strommasten steigen muss – ohne geeignete Werkzeuge. Er habe am eigenen Leib erfahren, was Hunger bedeute, schildert er bei Markus Lanz seine Erlebnisse. Sechs Jahre lang habe er jeden Tag gehungert, abends nicht einschlafen können wegen des ständigen Hungergefühls im Bauch.

Das sei nicht dasselbe wie ab und an eine Mahlzeit auszulassen. Nur einmal, schildert Weintraub, habe ihm in Groß-Rosen ein Arbeitsleiter der Organisation Todt mit nach Hause genommen, um ihn dort essen zu lassen. »Ich habe gegessen und gegessen und so lange wie möglich versucht, eine andere als die Lagerluft zu atmen, denn die Lagerluft war furchtbar«, schildert Weintraub das Erlebnis.

Zu Kriegsende, nach einem Todesmarsch vom KZ Flossenbürg nach Offenburg, wiegt er nur noch 35 Kilo und ist an Typhus erkrankt. Eigentlich will die SS alle noch lebenden KZ-Insassen umbringen, doch auf einem Todesmarsch gelingt Weintraub und einigen anderen im Schwarzwald die Flucht. Wenig später wird die Gruppe von französischen Soldaten aufgegriffen. Er ist nach sechs Jahren der Gefangenschaft endlich frei.

Nach Kriegsende geht Weintraub zunächst nach Göttingen, wo er seine Frau Katja kennenlernt. Später kehrt er zurück nach Polen, seine Heimat, wo er Medizin studiert, bevor er 1969 nach Schweden emigriert. Seit langem ist der Gynäkologe an Schulen und in der Öffentlichkeit als Zeitzeuge unterwegs. Es schmerze ihn, dass einige der Opfer gar nicht über ihr Leid unter dem Nationalsozialismus sprechen könnten, während andere von nichts anderem reden könnten.

»Ich bin Rationalist, ich habe die Sache zwar nicht überwunden, aber verarbeitet in meinem Gehirn«, sagt Leon Weintraub im TV-Studio. »Ich sehe ein, dass es nützlich ist, darüber zu sprechen und über das wahre Gesicht der Nazis zu berichten.« Denn er habe nicht zulassen wollen, »dass Hitler siegen wird.«

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