Ballett

Es bewegt sich was

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Ein offizielles Motto hat das Berliner Festival »Tanz im August« nicht. Das inoffizielle des 23. Internationalen Tanzfestes, das vom 12. bis 28. August an verschiedenen Spielstätten 22 Produktionen aus 13 Ländern präsentiert, könnte »Grenzaufhebungen« lauten – weg mit den Grenzen zwischen Körpern, Räumen und Bewegungen, zwischen Hip-Hop und Ballett.

jazz Oder zwischen Publikum und Tänzern. Das versucht Emanuel Gats Stück »Brilliant Corners«, das am 16. und 17. August aufgeführt wird. Der israelische Choreograf, 1969 in Netanya geboren, arbeitet mit seiner Compagnie in Südfrankreich, sieht sich aber der israelischen Tanzkultur nah. In einem Interview beschreibt er deren Wurzeln: Der deutsche Expressionismus, der Postmodern Dance aus den USA und der Konzepttanz aus Frankreich haben die israelische Szene und auch seine Arbeit geprägt.

Dazu kommt der Jazz. »Brilliant Corners« ist nach einem Album von Thelonious Monk von 1957 benannt. Monk (1917-1982) war einer der wichtigsten und außergewöhnlichsten Pianisten der Jazz-Geschichte – so drückte er beim Spielen beispielsweise auf schwarze und weiße Tasten gleichzeitig, um »Vierteltöne« zu erzeugen, weil er die klassische Klaviatur als unzureichend empfand.

Auf seiner Website bezeichnet Gat den großen Improvisator als sein Vorbild, weil der stets auf der Suche nach Neuem war. Zu hören ist Monks Musik während des Stücks allerdings nicht, stattdessen eine von Gat entworfene »Klangcollage«, die den Geist des Jazzers widerspiegeln soll, während die zehn Tänzer sich auf der Bühne ineinander schrauben, sich abstoßen und anziehen, sich gegeneinander und miteinander bewegen. Das Ziel laut Gat: Einen Raum zu schaffen, in den sich Tänzer und Publikum versenken können.

metapher Gat ist aus Israel nach Frankreich gezogen, weil, wie er sagt, in seinem Heimatland unabhängige Tanzcompagnien keine Chance haben gegen die drei großen, staatlich geförderten Ensembles des Landes. Diesen Weg hat Yuval Pick, ebenfalls auf dem Festival vertreten, auch hinter sich. Pick wurde jüngst zum Direktor des französischen Centre Chorégraphique National ernannt und gilt als einer der wichtigsten Vertreter des modernen Tanztheaters. Für sein Stück »Score« am 21. und 22. August ist er nach Israel zurückgekehrt.

Dort wollte er Atmosphäre und Momente aufsaugen, Menschen beobachten und vor allem Töne, Stimmen und Musik aufnehmen. All das hat er jetzt zu dem Tanzmosaik »Score« verdichtet. Seine drei Tänzer von »The Guest Company« präsentiert Pick mal klammernd vereint, mal kämpfend ausbrechend. So will er sein Geburtsland als Tanz abbilden. Die Komplexität, Konflikte und Kulturen Israels sollen Bewegung werden, gesellschaftliche Spannung zu Körperspannung.

widerstand Von Israel hat sich auch der noch nicht so etablierte Choreograf Ehud Daraah inspirieren lassen. Darash, der Tanz im Kibbuz Ga’aton studiert hat und in Berlin arbeitet, präsentiert sein Stück »Resilience« am 24. August. Es geht darin um Widerstandsfähigkeit – des Körpers, des Individuums gegenüber seiner Umwelt, um die Grenzen der Belastbarkeit. Schließlich ist nicht erst seit dem Film Black Swan bekannt, dass Tanz auch Schmerz ist.

Dem Programm von »Tanz im August« ist ein Zitat der Compagnie N’Soleh von der Elfenbeinküste vorangestellt: »Der zeitgenössische Tanz sollte uns vor allem mit der Brutalität unserer Zeit konfrontieren.« Aber geht das überhaupt? Die Choreografenlegende George Balanchine hat einmal gesagt, dass man Synonyme und Metaphern nicht tanzen kann.

Versucht man es doch, wird entweder die politische Aussage platt oder die ästhetische Qualität leidet. Das ist die Crux des modernen Tanztheaters: Es will aus der natürlichen Eleganz des Tanzens unversöhnliche und polemische Kunst schaffen. Ein Widerspruch, den auch die Produktionen des Berliner Festivals nicht auflösen können. Stattdessen versuchen sie, ihn wegzutanzen.

www.tanzimaugust.de

TV-Kritik

Politisierende Ermittlungen

In »Schattenmord: Unter Feinden« muss eine arabisch-stämmige Polizistin den Mord an einem jüdischen Juristen aufklären

von Marco Krefting  02.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025