Ausstellung

Ein Schein von Alltag

Von zeitgenössischer Ausstellungsästhetik keine Spur. Auf Schautafeln sind 50 großformatige schwarz-weiße Fotos angebracht, mit Erläuterungstexten in Englisch und Deutsch. Reduktionistischer geht es kaum. Das ist so gewollt. Denn die Bilder dieser Ausstellung dienen nicht dem Genuss des Betrachters. Es sind keine künstlerischen Arbeiten, die die Berliner Topographie des Terrors in ihrer ersten Wechselausstellung präsentiert, sondern traurige, schmerzhafte Zeitdokumente. Das Gesicht des Ghettos zeigt Bilder jüdischer Fotografen aus dem Ghetto Litzmannstadt 1940-1944.

eingepfercht Litzmannstadt, so hatten die Nazis nach einem der Ihren Lodz umbenannt, als sie Polen erobert hatten. Die Industriestadt war Heimat der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Europas. Anfang 1940 wurden über 160.000 ihrer Mitglieder im Stadtteil Baluty auf einer Fläche von 4,13 Quadratkilometern eingepfercht. Sieben Menschen mussten sich ein Zimmer teilen. Kanalisation gab es keine, die Versorgungslage war katastrophal. Seuchen und Unterernährung forderten rasch viele Todesopfer.

Das war im Sinne der Erfinder. Das Ghetto war von den Deutschen als Übergang gedacht, bis »wir diese Pestbeule endgültig ausbrennen«, wie es der zuständige Regierungspräsident formulierte. Das geschah ab 1941/42 durch Deportationen in die Vernichtungslager. Die Listen der zu Ermordenden musste der von den Nazis eingesetzte »Judenrat« des Ghettos aufstellen. Der Rat unter seinem autokratischen Vorsitzenden Chaim Rumkowski versuchte, unter diesen Umständen zu retten, wer zu retten war. Das Mittel dazu hieß Arbeitseinsatz. Heeresbekleidungsämter, aber auch private Unternehmer wie Josef Neckermann, ließen im Ghetto Textilien fertigen. Rumkowski hoffte, dass in »kriegswichtigen« Produktionen beschäftigte Ghettoinsassen nicht deportiert würden.

zivilgesellschaft Gleichzeitig entstand eine Art Zivilgesellschaft im Ghetto, mit Polizei und Feuerwehr, Krankenhäusern, Kinderheimen und Schulen. Auch eine statistische Abteilung gab es, die Fotografen beschäftigte, die das Leben im Ghetto dokumentierten. Rund 12.000 dieser Bilder haben das Ghetto überlebt, als Kleinbildkontaktabzüge in 27 Alben, die sich heute im Staatsarchiv von Lodz befinden. Die 50 Fotos der Berliner Ausstellung stammen aus dieser Quelle.

Einige der Szenen wirken auf den ersten Blick normal: Betende mit einer Torarolle, Paare bei einer Hochzeitsfeier, Kinder, die einen Schneemann bauen, Schüler beim Lernen. Doch die Texte neben den Bildern lassen die Illusion von Normalität platzen. Es sind Auszüge aus Tagebüchern von Ghettoinsassen. »Gestern ist ein Schüler aus unserer Parallelklasse gestorben, er erlag einer allgemeinen Erschöpfung – eine Folge des Hungers. Er ist das dritte Opfer in unserer Klasse«, notiert etwa der junge Dawid Sierakowski im Mai 1941.

Quoten Die Chance, wenigstens eine Zeitlang zu überleben, hatte nur, wer arbeitete. Bilder zeigen Kinder an Werkbänken oder Nähmaschinen. Manche sind noch nicht einmal in der Pubertät. Vielleicht gehören sie zu den Jungen und Mädchen, die sich als älter ausgaben, als sie waren. Denn wer unter zehn war, wurde deportiert. Ein Schicksal, das aber auch die anderen früher oder später ereilte. Ihre Lebensmittelrationen waren so karg gehalten, dass die Menschen über kurz oder lang nicht mehr arbeitsfähig waren. Nicht die Ausbeutung der Juden, sondern ihre Vernichtung stand auf dem Programm. Systematisch wurden die Deportationsquoten erhöht, zeitweilig auf 20.000 Menschen wöchentlich. Rumkowskis Strategie der Lebensrettung durch Arbeitseinsatz ging nicht auf. Ab 1944 machten die Deutschen sich an die Liquidation des Ghettos. Rumkowski selbst wurde mit seiner Familie im August 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Als im Januar 1945 die Rote Armee Lodz befreite, lebten dort noch 970 Juden. Vor der Schoa waren es 230.000 gewesen.

»Das Gesicht des Ghettos. Bilder jüdischer Fotografen aus dem Ghetto Litzmannstadt 1940-1944«, Topographie des Terrors, Berlin, bis 10. Oktober

www.topographie.de

Andrea Kiewel

»Sollen die Israelis sich abschlachten lassen?«

Die »Fernsehgarten«-Moderatorin äußert sich im »Zeit«-Magazin erneut deutlich politisch zu ihrer Wahlheimat

 07.07.2025

Kino

Weltweit ein Kultfilm - doch hierzulande fast unbekannt

Eines der erfolgreichsten Film-Musicals überhaupt lockt viele Touristen nach Salzburg – doch im deutschsprachigen Raum ist der jetzt 60 Jahre alte Kultfilm »The Sound of Music« kaum bekannt

von Gregor Tholl  07.07.2025

Judenhass

Zwei Verfahren gegen Xavier Naidoo anhängig

Der Sänger plant ein Comeback. Dass er sich vor Jahren in Verschwörungserzählungen »verrannt« hat, bereut er. Für die Justiz ist das Ganze damit aber noch nicht erledigt. Es geht um »Inhalte mit antisemitischem Charakter«

 07.07.2025

Geburtstag

Mit dem Cello in Auschwitz: Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie überlebte die Schoa als »Cellistin von Auschwitz« und ist eine der bekanntesten Zeitzeuginnen: Anita Lasker-Wallfisch. Mit einem besonderen Geburtstag triumphiert sie nun über den Vernichtungswahn der Nazis

von Leticia Witte  07.07.2025

Kino

Jüdischer Superman fliegt los

David Corenswet rettet die Welt. Der Kinostart rückt immer näher. Seit 1938 haben mehrere Juden entscheidend zum Erfolg des fliegenden Helden beigetragen

von Imanuel Marcus  07.07.2025

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  07.07.2025 Aktualisiert

Biografie

Autogramme, die die Welt bedeuteten

Wie die Fußballleidenschaft von Tom Tugend das Leben des jüdischen Journalisten prägte

von Martin Krauß  06.07.2025

Britische Band »Oi Va Voi«

»Das schlagende Herz des Albums«

Die Musiker haben den Song »Dance Again« in ihrem neuen Album den Opfern des Nova-Festivals gewidmet. Ein Gespräch über Mitgefühl, Hoffnung und die Wut nach Konzertabsagen

von Katrin Richter  06.07.2025

Aufgegabelt

Melonensalat mit gebackenem Halloumi

Rezepte und Leckeres

 06.07.2025