»Señor Kaplan«

Don Quijote auf Nazijagd

Jacob Kaplan geht es eigentlich gut. Der 77-Jährige verbringt seinen beschaulichen Lebensabend mit alten Freunden aus der jüdischen Gemeinde in Uruguays Hauptstadt Montevideo. Wären da nicht die vielen Ängste und Neurosen, von denen der sympathische Rentner geplagt wird: die Angst, in den Pool seines Hauses zu fallen und zu ertrinken etwa; die Angst, irgendwann blind zu werden, weil seine Augen im Alter etwas schlechter geworden sind; und vor allem die Angst zu sterben, ohne irgendeine jener großen Taten vollbracht zu haben, für die er einst bestimmt zu sein schien.

Es ist das Bewusstsein der eigenen Durchschnittlichkeit, das ihm besonders zusetzt. Darum erlegt er sich zu Beginn des Films eine gewissermaßen existenzielle Mutprobe auf: Weil er fest davon überzeugt ist, dass ein starker Wille alles in den Griff bekommen kann, erwägt er, vom Dreimeterbrett ins Wasser zu springen. Als er endlich den Sprung wagt, geht er unter wie ein Stein und muss vor aller Augen von seiner Frau gerettet werden. Kurz darauf fährt er auch noch ein fremdes Auto zu Schrott, woraufhin sich seine Familie und Freunde noch mehr Sorgen um den kauzigen Alten machen.

simon wiesenthal
Doch Jacob Kaplan (Héctor Noguera) ist ein ehrenwerter Mann. Jetzt, im höheren Alter, wird er nicht nur allmählich etwas wunderlich, er fühlt sich auch endlich dazu berufen, seinem Leben einen besonderen Sinn zu verleihen und seine seligen Eltern zumindest postum noch glücklich zu machen. Schließlich haben die auf ihn einst alle Hoffnungen gesetzt. Um auf diese Fragen, die ihn umtreiben, endlich eine Antwort zu finden, soll die Mutprobe am Swimmingpool nur der Anfang gewesen sein. Eines Tages beschließt Jacob Kaplan, wie einst Eichmann-Jäger Simon Wiesenthal hochrangige Altnazis zu überführen – und zwar bei sich zu Hause, in Uruguay.

Als er einen Fernsehbericht über die Flucht von NS-Verbrechern nach Südamerika sieht und ihm dann noch seine Enkelin von einem zurückgezogenen alten Deutschen erzählt, der seit Jahren an der Küste Uruguays lebt, reimt er sich die Legende zusammen, ein bekannter NS-Täter halte sich dort versteckt. Gemeinsam mit dem chaotischen und finanziell abgebrannten, dicken Ex-Polizisten Wilson Contreras heftet er sich dem Deutschen (genial: Zadek-Darsteller Rolf Becker) an die Fersen. Ob der Restaurantbesitzer auch wirklich ein Nazi ist, hat das ungleiche Paar nicht wirklich überprüft. Dennoch schmiedet es einen Entführungsplan, um den Deutschen in einer waghalsigen Nacht-und-Nebel-Aktion dem israelischen Geheimdienst Mossad zu übergeben.

Señor Kaplan ist eine Komödie und eine melancholische Farce in einem. Weil seine Hauptfigur als Sohn osteuropäischer Juden beschrieben wird, der im Kindesalter den Holocaust nur knapp überlebte, ist sein Leiden an der eigenen Existenz, der Sinnlosigkeit und auch seiner Orientierungslosigkeit keine bloße Drehbuchlaune, sondern grundiert durch eine traumatische Erfahrung.

Don Quijote Zugleich spielt der Film an mehreren Stellen auf Miguel de Cervantes’ weltbekannten Klassiker Don Quijote an. Auch darin geht es um einen alten Mann, der an seinem Lebensabend noch einmal den Träumen, Hoffnungen, Idealen und Werten seiner Jugend nachhängt. Diese haben Jacob Kaplans Freunde aus der jüdischen Gemeinde schon längst vergessen. Mit einer Ausnahme: Ex-Polizist Wilson. Sogar visuell stimmt die Cervantes-Analogie: Der dicke Wilson ist ein bodenständiger Sancho Pansa, Kaplan ist wie Don Quijote groß, steif und hager. Überhaupt ist Kaplan eine facettenreiche Figur: ebenso heldenhaft wie in diesem Heldentum lächerlich, ebenso stur wie in dieser Sturheit überraschend jung und gewinnend – eine klassische Tragikomödie eben.

Regie bei dem Film führte Álvaro Brechner, der auch das Drehbuch schrieb und als Spross einer österreichischen Emigrantenfamilie 1976 in Montevideo geboren wurde. Als Hauptdarsteller für seinen zweiten Spielfilm gewann Brechner mit dem Chilenen Héctor Noguera einen der bedeutendsten Schauspieler Lateinamerikas, der in Montevideo ein Theater leitet und Dekan der Philosophischen Fakultät ist. Noguera gibt Kaplan Tiefe und auch Schwermut, die den Film vor dem Abrutschen in peinlichen Nazi-Klamauk oder Schoa-Kitsch bewahren.

Brechners Señor Kaplan gelingt spielend die Gratwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und Humor, erzählt in heiter-melancholischer Atmosphäre und warmen Farben. Kurzum: eine Komödie über die vielen offenen Rechnungen der Geschichte und über ein Leben, dessen Bilanz noch nicht gezogen wurde.

Den Trailer gibt es hier: www.youtube.com/watch?v=9SfT9cPh_EY

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