Kino

Die Welt hat kein Talent zur Anständigkeit

Am Set von »Fabian«: Dominik Graf (3.v.l.) und Tom Schilling (3.v.r.) Foto: imago images / Future Image

Die ersten Bilder in Dominik Grafs Erich-Kästner-Verfilmung »Fabian oder Der Gang vor die Hunde« führen den Zuschauer ins Berlin der Zwischenkriegsära und zeigen mit einer atemlos die Zeiten verbindenden Kamerafahrt doch den Bezug zur Gegenwart an. Am Bahnsteig des Heidelberger Platzes im heutigen Berlin fährt eine U-Bahn ein, Menschen strömen ein und aus, die Kamera mittendrin und hindurch Richtung Treppenaufgang.

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Oben im Freien angekommen, lehnt ein junger Mann am Geländer und schnappt nach Luft. Ein Unbekannter stammelt etwas vom Krieg, während sich auch das Bild wandelt, den Blick verengt zum klassischen 1,33:1-Format und damit den Zeitsprung markiert. Das Jahr ist 1931 und der da steht und panisch um Atem ringt, ist Jakob Fabian (Tom Schilling), ein junger Werbetexter, der den Tanz auf dem Vulkan vor Hitlers Machtergreifung lange eher sarkastisch kommentierend aus der Distanz beobachtet.

Viel mehr interessieren diesen Fabian die Frauen, doch da passt das gegenseitige Begehren selten zusammen. Bis er Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl) begegnet, die ihm nicht nur den Kopf verdreht, sondern ihrerseits Gefallen an dem schmächtigen, eloquenten Flaneur findet. Eine Weile streifen, tanzen und lieben sie sich durch die berauschenden Berliner Nächte, der Abgrund ist schon vernehmbar, lässt sich aber noch ausblenden.

Tom Schilling in der Titelrolle zeigt, dass Lässigkeit und großer Ernst zusammenpassen.

Alles scheint möglich, bis nichts mehr geht: Erst verliert Fabian seinen Job in der Agentur, dann entscheidet sich Cornelia für die Karriere beim Film und damit gegen ihn. Eines Tages ist auch Stephan Labude (Albrecht Schuch), Fabians bester Freund aus Studienzeiten, verschwunden. Selbstmord, wie Fabian später erfährt, weil Labudes Doktorarbeit über Lessing, an der er Jahre gefeilt hat, durch den miesen Trick eines Unimitarbeiters und Nazisympathisanten abgelehnt wurde. Desillusioniert beginnt Fabian seine Haltung zu einer Welt infrage zu stellen, die kein »Talent zur Anständigkeit« hat.

Furios und formvollendet inszeniert Dominik Graf (»Die geliebten Schwestern«) den 1931 entstandenen, zunächst in gekürzter Form als »Fabian. Die Geschichte eines Moralisten« erschienenen und 2013 erstmals unzensiert unter dem ursprünglichen Titel »Der Gang vor die Hunde« veröffentlichten Roman von Erich Kästner, der den moralischen Verfall der deutschen Gesellschaft beschreibt und die Vorzeichen des Zivilisationsbruchs andeutet. Graf bleibt nah an der Vorlage, bis hin zu ganzen Dialogen aus dem Off, vor allem aber findet er eine adäquate Ästhetik für Kästners Tonfall. Er montiert und blendet Bilder übereinander, verwendet Archivaufnahmen und mischt Digital mit

Mit hier und da gesetzten Akzenten hebt er den Gegenwartsbezug hervor, wenn etwa ahistorisch kurz Stolpersteine im Bild auftauchen, die heute an die jüdischen Opfer des Naziterrors erinnern.

Stummfilm- und Super-8-Äshetik zu einem schwindelerregenden Spiel mit Bildern und Sprache. Es ist die kakophonisch anmutende, dabei präzise komponierte Symphonie einer Großstadt, die das Publikum hineinbugsiert in das brodelnde, aufreibende Leben im Berlin der Weimarer Ära.

Graf interessiert sich dabei wenig für den Mythos der Goldenen Zwanziger oder das babylon-berlinische Gangstermilieu. Vielmehr zeigt er die Hinterhöfe des Kleinbürgertums, den Dreck und das Durchlavieren, auch wenn natürlich die verruchten Etablissements, Huren und halbseidene Figuren nicht fehlen dürfen. Mit hier und da gesetzten Akzenten hebt er den Gegenwartsbezug hervor, wenn etwa ahistorisch kurz Stolpersteine im Bild auftauchen, die heute an die jüdischen Opfer des Naziterrors erinnern.

Aber auch die Beziehung zwischen Fabian und Cornelia, um die der Film letztlich kreist, wirkt in ihrer Auseinandersetzung um ökonomische Zwänge und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung alles andere als aus der Zeit gefallen. Das liegt nicht zuletzt an der lässigen Präsenz Tom Schillings, der scheinbar nahtlos an seinen Stadtneurotiker in »Oh Boy« anschließt und der inszenatorischen Wucht dieses Films eine elegante Leichtigkeit gibt.

Ab 5. August im Kino.

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