Vor 75 Jahren

»Deutschland ist mir doch recht fremd geworden«

Lieber in die Schweiz als zurück nach Deutschland: Thomas Mann Foto: dpa

»Gefühl, als ob es in den Krieg ginge«, notierte Thomas Mann (1875-1955) am 23. Juli 1949 in sein Tagebuch.

Das erste Mal nach 16 Jahren Exil kehrte der Literaturnobelpreisträger nach Deutschland zurück, am 25. Juli erhielt er den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main. Um seine Person tobte im Nachkriegsdeutschland eine Kontroverse, bei der es auch um den Umgang der Deutschen mit der NS-Zeit ging, um Schuld, Verantwortung und Verdrängung.

Thomas Mann, 1938 nach Kalifornien emigriert, war im Exil zur Verkörperung eines nicht-nationalsozialistischen Deutschlands geworden. In seinen Reden »Deutsche Hörer« im britischen Sender BBC prangerte er seit 1940 Monat für Monat die NS-Diktatur an. Am 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung und der deutschen Kapitulation, bezeichnete er Deutschland mit Blick auf das Grauen der NS-Vernichtungslager als »Abscheu der Menschheit«, als »Beispiel des Bösen«.

Daraufhin schrieb Anfang August 1945 der Schriftsteller Walter von Molo, der im Oktober 1933 einen Treueschwur auf Hitler mitunterzeichnet hatte, einen offenen Brief an ihn, in dem er die Verantwortung der Deutschen von sich wies: »Ihr Volk, das nunmehr seit einem Dritteljahrhundert hungert und leidet, hat im innersten Kern nichts gemein mit den Missetaten und Verbrechen.« Molo forderte Mann auf, nach Deutschland zurückzukommen: »zu Rat und Tat«.

Doch Thomas Mann weigerte sich und erklärte: »Deutschland ist mir doch recht fremd geworden.« Und weiter: »Ich gestehe, dass ich mich vor den deutschen Trümmern fürchte - den steinernen und den menschlichen.«

In seinem Antwortbrief an Molo im September 1945 schrieb Mann außerdem: »In meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland gedruckt werden konnten, weniger als wertlos. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an; sie sollten alle eingestampft werden.«

Kollegen in Deutschland fühlten sich düpiert. Der Schriftsteller Alfred Döblin, der aus einer jüdischen Familie stammt und 1945 aus dem Exil zurückkam, kritisierte seinen verhassten Rivalen scharf. Autor Frank Thiess setzte die »äußere« gegen die »Innere Emigration« herab: »Wir erwarten dafür keine Belohnung, dass wir unsere kranke Mutter Deutschland nicht verließen.«

Ernst Beutler, Direktor des Freien Deutschen Hochstifts und Leiter des ausgebombten Frankfurter Goethehauses, nahm Mann übel, dass er »uns zu sehr en canaille behandelt«, also wie Schurken, wie er in einem Brief an den Publizisten Eugen Kogon formulierte. Beutler, der sich bemüht hatte, das »andere Deutschland« zu repräsentieren, war enttäuscht.

Als das Kuratorium des mit 10.000 D-Mark dotierten Frankfurter Goethe-Preises im Jahr 1949, zum 200. Goethe-Geburtstag, Thomas Mann als Preisträger erkor, lehnte Beutler diesen ab - weil er »menschlich nicht genüge«. »Böse Vorgänge in Frankfurt um den Goethe-Preis«, notierte Mann am 30. März 1949 in seinem Tagebuch. Dank des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Kolb (SPD), der ihm seine Stimme gab, wurde ihm der Preis sechs Wochen später doch zuerkannt.

Und Mann entschloss sich, nach Deutschland zu reisen.

Mit elf Koffern brachen er und seine Frau Katia im Mai nach Europa auf. Er hielt Vorträge in England, Schweden und der Schweiz, bevor er im Juli nach Deutschland kam. Morddrohungen begleiteten seinen Besuch. Schon im Sommer 1947 hatte eine Umfrage der US-Militärbehörden ergeben, dass er der deutschen Bevölkerung als »Vaterlandsverräter« galt, der sein Volk im Stich gelassen habe.

Das Gästehaus der Stadt Frankfurt in Kronberg/Taunus war von der Polizei abgeriegelt, eine Motorrad-Eskorte begleitete den 74-Jährigen am 25. Juli zur Preisverleihung in der Paulskirche. »Ich weiß, dass der Emigrant in Deutschland wenig gilt«, das konnte er sich in seiner Ansprache nicht verkneifen. Auch verschwieg er nicht den Hass, den er gegen die »ruchlosen Verderber Deutschlands« empfand. Aber er bekräftigte »seine aktive Treue zur deutschen Sprache, dieser wahren und unverlierbaren Heimat«. Und mit Blick auf seine Weiterreise nach Weimar: »Ich kenne keine Zonen. Mein Besuch gilt Deutschland selbst, Deutschland als Ganzem und keinem Besatzungsgebiet.«

In der Sowjetischen Besatzungszone - am 7. Oktober 1949 konstituierte sich die DDR - hatte der Schriftsteller Johannes R. Becher, heimgekehrter Emigrant aus der Sowjetunion, späterer Kulturminister und Verfasser der DDR-Nationalhymne, einen mit 20.000 Mark dotierten Nationalen Goethe-Preis erfunden: nur für Thomas Mann.

Im Weimarer Nationaltheater nahm der Schriftsteller den Preis am 1. August entgegen und hielt seine Frankfurter Rede noch einmal, in der er Goethe als Repräsentanten des »guten Deutschland« pries, einer »Kraft, gesegnet durchs Musische, gesittete Größe«.

Auch die Weimarer Ehrenbürgerschaft wurde ihm zuteil, obwohl ihn die SED noch zuvor als »Knecht der Wallstreet« diffamiert hatte.

Seine Preisgelder stiftete Thomas Mann mittellosen Autoren in Westdeutschland und der Sanierung der »Herderkirche« St. Peter und Paul in Weimar. 1952 kehrte der gebürtige Lübecker Thomas Mann nach Europa zurück, allerdings in die Schweiz und nicht nach Deutschland.

Er starb 1955 in Zürich.

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  16.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  16.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  15.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025