Finale

Der Rest der Welt

Die Feiertage waren nichts als Stress, und ich bin froh, dass sie endlich hinter mir liegen. Ich gebe zu, Rosch Haschana war schön und erholsam. Ansonsten hatte ich für Besinnung und Einkehr im Monat Elul keinen einzigen ruhigen Moment. Niemand, der mich geärgert hatte, zeigte auch nur ein winziges Zeichen von Reue gezeigt. An Jom Kippur haben sich selbst die größten Schmocks mit keinem Wort bei mir entschuldigt. Und meine Idee, für meinen Sohn eine Laubhütte zu bauen und seine Freunde zu einer Spontan-Party einzuladen, scheiterte – wie könnte es anders sein – an Zeitmangel.

Perfekten jüdischen Müttern würde so etwas nie passieren. Selbst bei einer 60-Stunden-Woche und sieben eigenen Kindern wäre ihre Sukka im Garten die schönste in der Stadt und die selbst gebackenen Koscher-Parve-Muffins so gelungen, dass alle anderen Mütter schreckliche Komplexe bekommen hätten.

Muffins Leider habe stattdessen ich die Komplexe. Ich habe noch nie Muffins gebacken. Einen Garten haben wir nicht. Und einen ordentlichen Etrog konnte ich zu Sukkot auch nicht ergattern. Dabei gab es in der Synagoge Joachimstaler Straße in Berlin prächtige Etrogim. Aber ich musste ja unbedingt das Kinder-Set und den Etrog mit der losen Spitze nehmen, nur weil ich dem Verkäufer – selbstverständlich zu Unrecht – unterstellt habe, mir gerade die schönste Frucht vorenthalten zu wollen.

Mein nichtjüdischer Mann tippte sich an die Stirn, als ich nach Hause kam. »Spinnst du, 20 Euro für eine Zitrone?«, fragte er. Dabei weiß er gar nicht, was er gespart hat: Andere Frauen hätten zum Mehadrin-Set für 36 Euro gegriffen, inklusive Super-Etrog, plus drei Euro für die Plastik-Spezialverpackung. Und was habe ich nun von meiner Sparsamkeit? Das Pitom, die Spitze des Etrogs, ist abgebrochen, der Palmwedel geknickt, und mein Mann hat über mich gelacht. Nun gibt es Menschen, die behaupten, dass ein Mann, der keine jüdische Seele besitzt, auch nicht würdigen kann, wenn seine Frau sich eine Sukka wünscht.

Teschuwa Was soll ich mir also als Teschuwa-Projekt für den nächsten Feiertagsmarathon vornehmen? Meinen Mann zur Konversion nötigen und ihn zwingen, die Laubhütte selbst zu bauen? Keine Option – er würde das Weite suchen. Oder: mir an seiner Stelle einen reichen jüdischen Macker suchen, der mir ein Haus im Grunewald mit Prachtgarten kauft und dafür sorgt, dass ich nie wieder arbeiten muss? Ich fürchte, ich würde mich langweilen. Und mir die Augen ausweinen nach dem Einzigen, der mich so liebt, wie ich bin. Teschuwa – vielleicht heißt das, Rückkehr zu mir selbst? Die perfekte jüdische Mutter – zum Teufel mit ihr. Die perfekte jüdische Familie – ohne mich.

Liebe Leserinnen und Leser, schöne Grüße aus der Türkei! Wir lümmeln uns gerade auf unseren Handtüchern am Strand der türkischen Ägäis und lassen den Saft des pitomlosen Etrogs genüsslich in unsere Wodkagläser tropfen. Der nächste Elul kommt bestimmt. Und wer sich dann bei mir entschuldigen will, dem gebe ich gerne eine zweite Chance.

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