Finale

Der Rest der Welt

Zuckersüße, schmalzige Musik wabert durch mein Wohnzimmer, und das schon um sechs Uhr früh! Mit schlafverklebten Augen tappe ich in Richtung der Geräuschquelle. Die versammelte Mannschaft – drei Kinder und ein Ehemann – sitzt auf dem Sofa und starrt gebannt auf die Mattscheibe. Ich grunze irgendwas wie »‘n Morg’n«.

Alle Blicke richten sich auf mich. Was gucken die denn alle so enttäuscht? Wen haben sie erwartet, Gina Lollobridgida vielleicht? Mein Mann drückt die »Stopp«-Taste. Da, auf dem Fernsehbildschirm – das bin ja ich, in Großaufnahme. Meine Hochzeits-DVD! Zehn Jahre jünger, zehn Kilo leichter. In einem traumhaften Hochzeitskleid, in romantischer Umarmung mit meinem Göttergatten Alain.

Lockenwickler Alle Kinder stoßen zeitgleich einen tiefen Seufzer aus. Auch Alain, der eine Schachtel Kleenex umklammert hält. Wahrscheinlich zum gerührten Hereinschneuzen. Was er auch prompt tut. Dann läuft die DVD weiter, und vier kritische Augenpaare wandern zu mir herüber. Sie registrieren meinen verwaschenen Snoopy-Pyjama, meine rosafarbenen Lockenwickler, meine ausgelatschten Tweety-Hausschlappen. Tja, ich habe mich wohl tatsächlich etwas gehen lassen in den vergangenen zehn Jahren.

Aber das war am Sonntagmorgen. Jetzt ist es Montagfrüh um sieben, und ich habe meinen Lifestyle radikal verändert. Ich bin die erste Kundin des Tages im Hightech-Fitnesscenter um die Ecke. Habe mich in einen Boot-Camp-Fett-Weg-Fitnesskurs eingeschrieben, der zwei Wochen dauert. In den kommenden Tagen habe ich auch noch einen Termin zur Mani- und Pediküre untergebracht, dann noch zum Friseur – und danach – als krönender Abschluss: einen Termin beim besten Fotografen der Stadt, der eine Serie von betörenden Porträtaufnahmen von mir machen wird. Nett gerahmt, damit Alain stets an die Wand oder auf seinen Schreibtisch blicken und sehen kann, dass ich immer noch die Schönste bin.

optik Zwei Wochen lang martere ich mich bis zur Schmerzgrenze. Dann endlich: In einem cremefarbenen Hosenanzug sitze ich im Atelier. Der Fotograf seufzt nur und reicht mir ein schwarzes Jäckchen: »Sie tragen weiß. Schlechte Wahl. Das wirkt auf dem Foto zu breit. Nehmen Sie das schwarze Jäckchen. Das streckt optisch.« »Breit?«, »strecken?« Mich? »Hören Sie, ich habe kein Gramm Fett am Leib! Ich bin flach wie ein Brett, dünn wie ein Strich, kapiert?«

Als Antwort kommt nur ein Röcheln. Denn ich habe meine Hände mit eisernem Griff um den dürren Fotografenhals gelegt und schüttele ihn rhythmisch hin und her. Dann habe ich einen Blackout und weiß nichts mehr, außer dass zwei nette Krankenwärter mich unter den Achseln fassen und im gut ausgepolsterten Krankenwagen mit Blaulicht nach Hause fahren.

Hier nimmt mich Alain in Empfang, verfrachtet mich auf das Sofa und reicht mir einen Kamillentee. Ich breche in Tränen aus und gestehe ihm mein Hochzeits-DVD-Trauma. Blödsinn, meint Alain, ich wäre nun doch noch viel, viel schöner als vor zehn Jahren, und er habe da eine fantastische Idee. Wie wäre es mit einer Foto-Porträtserie von mir, zum An-die-Wand-Hängen, damit er immer wieder daran erinnert würde, dass ich die Schönste bin? Gute Idee, sage ich. Ich glaube, ich habe den richtigen Mann geheiratet.

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Sderot

Zweitägiges iranisches Filmfestival beginnt in Israel

Trotz politischer Spannungen will das Event einen Dialog zwischen Israelis und Iranern anstoßen

von Sara Lemel  24.11.2025

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025