Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images/iStockphoto

Es ist 19.30 Uhr. Wie jeden Tag um diese Zeit sieht man mich in meiner Wohnung verzweifelt von Tür zu Tür tigern, um erst meine Kinder und dann meinen Mann um ein paar Schokoriegel oder Kekse anzubetteln. Aber meine Kids und mein Mann bleiben – wie jeden Tag – knallhart, sie rücken nichts raus, und ich bin doch so hungrig. »Du bist zuckerabhängig!«, analysiert mich meine beste Freundin. »Deine Blutzucker-Kurve steigt und fällt nonstop, und bei jedem Abfall der Kurve stopfst du wahllos Süßes in dich hinein.«

Meine Freundin schickt mich zu ihrem Diät-Guru »Gina, the Glucose Goddess«, um meinen Blutzucker-Pegel zu stabilisieren. Gina ist klein und drall, mit verstörend grell geblümten Klamotten und einem strengen Dutt. Sie sieht aus wie eine sadistische Kindergärtnerin aus einem Horrorfilm. Gina mustert mich mit ihren stechenden kleinen Augen, dann fragt sie mich nach meinen Essgewohnheiten, stuft mich sogleich als schwierigen Fall ein und empfiehlt ihr Rundum-Paket inklusive Blutzucker-Einpegelung, WhatsApp-Kontakt und Nährstoff-Verortung, was auch immer das alles heißen soll.

Sie lässt mich einige Vollmachten unterschreiben, grapscht sich meinen linken Arm und verpasst mir einen selbstklebenden Glukosespiegel-Tracker. Dann schnappt Gina sich mein Handy, tippt blitzschnell darauf herum, richtet ihre Blutzucker-Überwachungs-App ein, drückt mir ein Goodie-Bag mit gesunden Snacks in die Hand und schiebt mich unsanft aus der Tür.

Zu Hause angekommen, durchwühle ich erst einmal den Küchenschrank und stopfe mir ein paar Butterkekse in den Mund.

Zu Hause angekommen, durchwühle ich erst einmal den Küchenschrank und stopfe mir ein paar Butterkekse in den Mund. Auf einmal schrillt ein jaulender Alarmton, meine Ohren fangen an zu klingeln vor lauter Schreck. Das Jaulen kommt direkt aus meinem Handy. Gina muss etwas an meinen Einstellungen verändert haben. Mit zitternden Fingern hebe ich ab. Ginas Stimme keift aus dem Lautsprecher: »Hören Sie auf, sich vollzustopfen, Ihr Blutzuckerspiegel steigt gerade rapide! Essen Sie lieber meine gesunden Snacks!«

Mit schwitzenden Händen drücke ich den Anruf weg und versuche, mein panikartiges Herzklopfen unter Kontrolle zu bekommen. Anscheinend werden meine Glukosedaten direkt per App zu Gina gebeamt. Eine unangenehme Vorstellung. Verzweifelt wühle ich in dem Goodie-Körbchen. Darin liegen einige Tüten mit Flohsamenschalen, die irgendwie nach Sägespänen schmecken, außerdem ein Päckchen mit kleinen braun-grauen Pellets, die wie Futter aus dem Streichelzoo riechen, und erdig schmeckende Erdnuss-Schalen-Flips. Na, das kann ja heiter werden.

Nach einigen schier endlos scheinenden Tagen bin ich ein anderer Mensch. Allein der Gedanke an Glukose ruft bei mir nervöse Zuckungen hervor. Ich bin sichtbar abgemagert, und die knusprigen Snacks von Gina bestelle ich jetzt im Abo direkt nach Hause. Nicht ganz billig, die kleinen Dinger, und auch die Treffen mit Gina gehen auf Dauer richtig ins Geld. Als kleines Zubrot vertreibe ich deshalb ab jetzt Ginas Wundersnacks im Internet. »Glukose-Götterspeise« heißt mein Online-Shop. Schauen Sie doch mal rein! Als Leser bekommen Sie die blutzuckerfreundlichen, köstlichen Schneckenschleim-Gums und Quallen-Crispies zum Einkaufspreis. Wie Sie mich erreichen können, wissen Sie ja!

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  20.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  20.11.2025

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Netflix-Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025