Finale

Der Rest der Welt

Das Leben ist eigentlich doch ganz schön. Foto: Getty Images/iStockphoto

Finale

Der Rest der Welt

Raus aus dem Risikogebiet oder Der Geschmack der Freiheit

von Margalit Edelstein  10.09.2020 08:00 Uhr

Noch nie hat das Killesberg-Freibad so aufregend exotisch auf mich gewirkt wie in diesem Jahr. Knallblaues, angenehm kühles Wasser, um das sich alte Bäume im Wind wiegen … blitzblauer Himmel, garniert mit einigen Schäfchenwolken … am Schwimmbad-Kiosk gibt’s immer noch die knallrote Brause meiner Kindheit, die irgendwie nach Kaugummi schmeckt … der Geschmack der Freiheit!!!

Nach einigen dumpfen Monaten zu Hause in Antwerpen in der roten Corona-Zone, eingeigelt auf meinem Sofa wie ein frustrierter Einsiedlerkrebs, erscheint mir das spießige Stuttgart-Nord nun auf einmal wie eine Art glitzerndes Nirwana. Noch nie haben wir uns so amüsiert und das Leben in vollen Zügen genossen wie diesen Sommer.

maskenpflicht Noch vor ein paar Tagen schlichen wir schwitzend und fluchend bei 30 Grad im Schatten mit Gesichtsmaske herum. Maskenpflicht überall im Risikogebiet, im Wald, im Park und auf der Straße – und kein Entkommen. Ich war kurz davor, auszurasten. Als ich am Telefon zum fünften Mal in einer Woche einen schluchzenden Nervenzusammenbruch hatte, beschloss meine Mutter kurzerhand, uns alle nach Stuttgart einzuladen, um uns dort nach Strich und Faden zu verwöhnen.

Noch nie habe ich so schnell die Koffer gepackt.

Noch nie habe ich so schnell die Koffer gepackt. Es war Donnerstagfrüh, und wir waren schon so gut wie weg, als mich ein Kollege per WhatsApp darüber informierte, dass die Einreise aus der roten Zone Antwerpen über die deutsche Grenze leider kurz zuvor unmöglich geworden war: zweiwöchige Quarantäne oder ein negativer Corona-Test.

Ein weiterer Nervenzusammenbruch meinerseits folgte. Denn wie so schnell einen Corona-Test organisieren? Es gab tagelange Wartezeiten. Vom vielen Heulen war ich völlig verschnupft, hatte Kratzen im Hals, meine Nase war so verstopft, dass mir mein Geruchssinn völlig abhandengekommen war …

schnelltest »Kein Geruchssinn?«, fragte meine Mutter am Telefon. »Vielleicht hast du ja Corona! Ruf sofort den Arzt!« Gesagt, getan. Der Arzt verpasste mir und meinem Mann stehenden Fußes einen Corona-Schnelltest, der 24 Stunden später negativ zurückkam, wir stopften das Gepäck und die Kinder ins Auto, mein Mann gab Gummi, und wenige Stunden später atmeten wir auf einer Raststätte irgendwo in der deutschen Pampa – zum ersten Mal seit Wochen wieder maskenfrei – die erfrischende Luft der Autobahn.

Von da an waren die gesamten Ferien einfach nur rosarot. Die Stocherkahnfahrt auf dem Tübinger Neckar hätte sich genauso gut auf einer Gondel in Venedig abspielen können, so befreit und überglücklich schaukelten wir übers Wasser. Die Aussicht vom Balkon meiner Eltern auf den dunstigen Stuttgarter Kessel schien mindestens so malerisch wie der Blick auf den Großglockner bei Sonnenuntergang, und beim Gang ins Freibad kam echtes Marbella-Feeling auf. Beim Gedanken, irgendwann wieder zurück nach Hause zu müssen, wurde mir einfach nur übel.

Aber meine Glückssträhne hielt an. Nach zwei sonnenverwöhnten Wochen in Stuttgart wurde die allgemeine Antwerpener Maskenpflicht abgeschafft. Und hier bin ich also wieder, wohlig zusammengerollt auf meinem Sofa vor dem Fernseher. Draußen rüttelt ein Septembersturm die Bäume, wir haben koscheres Sushi bestellt und gucken Netflix, nur unterbrochen von sporadischen heiseren Schofartönen (die Nachbarn üben schon für die Chagim) und dem Gehämmer des jährlichen Laubhütten-Baus für Sukkot. Das Leben ist eigentlich doch ganz schön.

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 03.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Medien

»Antisemitische Narrative«: Vereine üben scharfe Kritik an Preis für Sophie von der Tann

Die Tel-Aviv-Korrespondentin der ARD soll mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt werden

 03.12.2025

Chemnitz

Sachsen feiert »Jahr der jüdischen Kultur«

Ein ganzes Jahr lang soll in Sachsen jüdische Geschichte und Kultur präsentiert werden. Eigens für die Eröffnung des Themenjahres wurde im Erzgebirge ein Chanukka-Leuchter gefertigt

 03.12.2025

TV-Tipp

»Fargo«: Spannend-komischer Thriller-Klassiker der Coen-Brüder

Joel und Ethan Coen erhielten 1997 den Oscar für das beste Originaldrehbuch

von Jan Lehr  03.12.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 4. Dezember bis zum 10. Dezember

 03.12.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  02.12.2025

Streaming

Gepflegter Eskapismus

In der Serie »Call my Agent Berlin« nimmt sich die Filmbranche selbst auf die Schippe – mit prominenter Besetzung

von Katrin Richter  02.12.2025

Jean Radvanyi

»Anna Seghers war für mich ›Tschibi‹«

Ein Gespräch mit dem Historiker über die Liebesbriefe seiner Großeltern, Kosenamen und hochaktuelle Texte

von Katrin Richter  02.12.2025