Finale

Der Rest der Welt

Ein reich gedeckter Tisch mit schönen Früchten, aber ich freue mich lieber auf den richtigen Seder und das »Brot der Armen«. An Pessach! Foto: Flash 90

Es gibt Feiertage, die ich noch nie ausstehen konnte. Dazu gehört Tu Bischwat, das Neujahrsfest der Bäume. Es wird gefeiert, wenn in Israel die Mandelbäume blühen und in den nördlicheren Ländern der Erde Winter herrscht.

Allerdings ist Winter in Berlin inzwischen eine relative Angelegenheit: Vor ein paar Tagen war ich mit meinem Sohn zum ersten Mal auf dem Spielplatz. In der Luft lag Frühling. Wir spielten Tischtennis und schwitzen in der Sonne. Demnächst blühen bei uns die Mandelbäume wahrscheinlich schon im Februar.

Deswegen nervt mich Tu Bischwat noch mehr als früher: Der Feiertag ist zum Mahntag des Klimawandels mutiert. Anstatt sich auf eine genussreiche Mahlzeit zu freuen, überschlagen sich Rabbinerinnen und Rabbiner mit umweltpolitisch korrekten Tora-Auslegungen und weisen ihre Kollegen zurecht, deren Vorschläge sie als nicht nachhaltig genug empfinden.

Schehechejanu Mit Kabbala hatte ich noch nie etwas am Hut, aber wenn ich die Erfinder des Tu-Bischwat-Seder richtig interpretiere, dann sollen wir uns erfreuen, an einem reich gedeckten Tisch mit schönen Früchten. Immerhin eine Gelegenheit, wo der »Schehechejanu«-Segen ein wenig besser passt als unlängst beim Besuch unseres Bundespräsidenten in Yad Vashem.

Wer nicht zum Tu-Bischwat-Seder fährt, spart Benzin oder Plätze in der U-Bahn und verbessert seine C02-Bilanz, anstatt importierte Datteln aus Israel anzuschleppen.

Aber dürfen wir überhaupt Spaß haben, wenn doch die Welt bald untergeht? Nein! Also wäre es wohl besser, auf die Früchte zu verzichten, zu Hause zu bleiben und sich schuldig zu fühlen. Wer nicht zum Tu-Bischwat-Seder fährt, spart Benzin oder Plätze in der U-Bahn und verbessert seine C02-Bilanz, anstatt importierte Datteln aus Israel anzuschleppen und am Sedertisch den Ökologen zu spielen.

Vielleicht sollten die Rabbiner ihre Empfehlungen für Tu-Bischwat-Früchte aktualisieren? Afarsemon nur für Israelis! Keine Granatäpfel für die Diaspora! Und was sagt überhaupt die Halacha zu Erdbeeren im Februar?

»Alef Bischwat« David Kraemer vom Jewish Theological Seminar in New York hat einen anderen Vorschlag. Er will das Neujahrsfest der Bäume zukünftig an »Alef Bischwat« feiern, dem ersten Tag des jüdischen Monats Schwat. Der Talmudexperte verweist darauf, dass der Mischnagelehrte Hillel, nach dem sich die Halacha üblicherweise richtet, den 15. Tag des Monats Schwat (»Tu«) als Neujahrsfest der Bäume favorisierte, während sein meist unterlegener Kollege, Schammai, für Alef Bischwat plädierte.

»Warum immer dem Mainstream folgen?«, fragt Kraemer und argumentiert, eine Vorverlegung des Neujahrsfests der Bäume um zwei Wochen wäre ein »Akt des Protests«, eine »kulturelle Gegenbewegung« und ein Ausdruck der Sorge um das weltweite Klima. Ich habe dazu keine Meinung. Alef oder Tu, das sollen die Gelehrten unter sich ausmachen.

Wenn in meiner Synagoge der Tu-Bischwat-Seder gefeiert wird, sitze ich mit meinem Sohn noch im Zug. Wie kann man eine Festmahlzeit ausgerechnet auf den letzten Tag der Winterferien legen? Aber was rege ich mich auf, Tu Bischwat ist sowieso nicht mein Fest. Ich freue mich lieber auf den richtigen Seder und das »Brot der Armen«. An Pessach!

Berlin

Erste Ausstellung über den Architekten Ossip Klarwein

Präsentiert werden mehr als 100 Entwürfe und Modelle, darunter ikonische Bauten des 1933 nach Palästina geflohenen jüdischen Architekten

 17.06.2025

Nachruf

Chronist einer ganzen Epoche

Michel Bergmann war ein Schriftsteller, der viele Genres beherrschte

von Ellen Presser  17.06.2025

Los Angeles

Neues Album von Haim: »Manchmal muss man loslassen«

Auf ihrem vierten Album singen die Haim-Schwestern von Trennung, Abschied und Neuanfang. Dabei betritt das Trio mit beinahe jedem Song ein anderes musikalisches Terrain

von Philip Dethlefs  17.06.2025

Diskurs

»Die Erinnerungsrepublik Deutschland ist zu Ende«

Auszüge aus der Heidelberger Hochschulrede des Grünen-Politikers Sergey Lagodinsky

 16.06.2025

Literatur

Michel Bergmann ist tot

Der jüdische Schriftsteller starb im Alter von 80 Jahren

 17.06.2025 Aktualisiert

Taormina Film Fest

Michael Douglas entschuldigt sich für Politik der US-Regierung

Der Darsteller erhält von Iris Knobloch eine Ehrung für sein Lebenswerk. Die Vergabezeremonie in Sizilien nutzt er für Kritik an seinem Land

 16.06.2025

Fernsehen

Luftraum in Israel gesperrt: »Fernsehgarten« ohne Kiewel

Die Moderatorin lebt in Tel Aviv - doch zu ihrer Jubiläumssendung konnte sie nicht anreisen

 15.06.2025

Leo Baeck Institut

»Die Wissenschaft ist keine Oase«

Michael Brenner über das vor 70 Jahren gegründete Archiv der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, freie Forschung und bedrohte Demokratie

von Ayala Goldmann  15.06.2025

Kunst

Öffnet die Herzen!

Die Israelin Bracha Lichtenberg Ettinger fordert mit einer intensiven Einzelschau in Düsseldorf die Besucher heraus

von Eugen El  15.06.2025