Finale

Der Rest der Welt

Überreste der Berliner Mauer Foto: Getty Images / istock

Finale

Der Rest der Welt

Kater vor dem Jubiläum oder Warum eine neue Mauer auch keine Lösung ist

von Ayala Goldmann  07.11.2019 10:21 Uhr

Ganz Deutschland feiert 30 Jahre Mauerfall. Ich nicht. Ich werde mir die Decke über den Kopf ziehen und auf keinen Fall eine Sektflasche öffnen, weil ich jetzt schon in Katerstimmung bin. Ganz anders als beim 25. Jahrestag des Mauerfalls habe ich dieses Mal nicht die geringste Lust, mir Dokus und Erinnerungssendungen anzuschauen.

Schabbat Wie gut, dass der 9. November auf einen Schabbat fällt. Ein guter Grund, den Fernseher gar nicht erst anzuschalten. Historische Aufbruchstimmung war gestern! Mein erster Gedanke nach der Thüringen-Wahl: »Keine Mehrheit für die Demokratie! Warum können wir die Mauer nicht wieder aufbauen?«

Aber das wäre ja ungerecht. Schließlich haben nur 23 Prozent der Thüringer Wähler den West-Import Björn Höcke gewählt – ein Mann, der in Hessen Beamter bleiben kann, obwohl man ihn ungestraft »Faschist« nennen darf. Der brandenburgische AfD-Chef Andreas Kalbitz wiederum ist Bayer.

Wie gut, dass der 9. November auf einen Schabbat fällt. Ein guter Grund, den Fernseher gar nicht erst anzuschalten.

Eine neue Mauer würde da nicht helfen. Außerdem könnten uns dann meine Schwiegereltern aus Sachsen nicht mehr in Berlin besuchen. Und sie können nichts dafür, sie haben noch nie AfD gewählt. Aber was hilft sonst?

Ikea Eine Freundin erzählte mir am Wochenende, Ikea habe nach der Thüringen-Wahl die WC-Bürste »Höcke« (dunkelbraun, mit Halter) für 99 Cent auf den Markt gebracht. Das ist aber nicht wahr. Es handelt sich um eine Satire aus dem letzten Jahr. In Wirklichkeit ist die Klobürste nicht dunkelbraun, sondern schwarz, und sie trägt den Namen »Bolmen« in Anlehnung an den größten See im westlichen Teil von Småland in Schweden.

2017 wurde das angebliche Ikea-Produkt schon einmal durch die sozialen Medien gespült: Brexit-Gegner nannten sie »Farage« – nach dem britischen Politiker Nigel Farage, der seit 2019 die Brexit-Partei anführt. Doch der schwedische Einrichtungskonzern distanzierte sich umgehend von der Fälschung.

Humor Was lernen wir daraus? Dass der Witz nicht gut war. Wir brauchen keine dunkelbraunen Klobürsten, sondern lieber tiefschwarzen Humor zum Erhalt unseres jüdischen Immunsystems. Schön wären in diesem November auch ein paar Sonnenstrahlen. Aber woher soll das alles kommen, wenn man missmutig und für das Solarium zu hellhäutig ist?

Wir brauchen keine dunkelbraunen Klobürsten, sondern lieber tiefschwarzen Humor zum Erhalt unseres jüdischen Immunsystems.

Ich habe nur eine Lösung: Winterschlaf. Nach Diktat meines Textes kann ich zwar leider nicht verreisen – Urlaub war gestern –, aber ich habe beschlossen, einfach abzuschalten. Und das nicht nur am Schabbat: Bis zur ersten Chanukkakerze lasse ich nichts mehr an mich herankommen. Weder Nachrichten noch das Wetter.

Kissen Wenn eine Mauer quer durch Deutschland nicht hilft, dann baue ich eben meine eigene Mauer. Mit Kissen in meinem Bett. Bis jemand mir die Decke wegzieht oder die Gemeindetagsbesucher im Dezember ein paar wirklich gute Witze nach Berlin mitbringen. Ganz egal, ob aus dem Osten oder aus dem Westen.

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  17.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  17.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  17.11.2025

Miss-Universe-Show

Miss Israel erhält Todesdrohungen nach angeblichem Seitenblick

Auch prominente Israelis sind immer öfter mit Judenhass konfrontiert. Diesmal trifft es Melanie Shiraz in Thailand

 17.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  17.11.2025

Jubiläum

Weltliteratur aus dem Exil: Vor 125 Jahren wurde Anna Seghers geboren

Ihre Romane über den Nationalsozialismus machten Anna Seghers weltberühmt. In ihrer westdeutschen Heimat galt die Schriftstellerin aus Mainz jedoch lange Zeit fast als Unperson, denn nach 1945 hatte sie sich bewusst für den Osten entschieden

von Karsten Packeiser  17.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025