Finale

Der Rest der Welt

Wenn ich Leuten eröffne, dass ich den Eurovision Song Contest (ESC) liebe, ernte ich meist verständnislose Blicke. Sicher, die Fangemeinde dieses jährlich stattfindenden, etwas skurrilen Gesangswettbewerbs ist in den vergangenen Jahren auch in Deutschland rasant gewachsen. Dennoch muss ich mich immer wieder erklären, wenn es um meine enthusiastische Haltung zum Phänomen ESC geht.

Nein, ich höre sonst keine Schlagermusik. Nein, ich gehöre nicht der Regenbogengemeinde an. Und nein, ich halte Ralph Siegel nicht für den größten deutschen Komponisten aller Zeiten. Warum also liebe ich den ESC? Warum fahre ich jedes Jahr im Mai gerne in die Stadt, in der der Liederwettstreit gerade ausgetragen wird (und nehme sogar meine Kinder mit)?

Illusion
Es ist ganz einfach. Vom Eurovision Song Contest kann man nämlich viel lernen. Jedes Jahr an einem Samstagabend im Mai gibt sich Europa der Illusion hin, wir seien ein Kontinent – in Harmonie und Musik vereint. Egal, wie schief die Sängerin Mazedoniens auch singen mag. Egal, wie abscheulich der Anzug des irischen Interpreten aussieht. Die 10.000 Zuschauer in der Arena jubeln dennoch bedingungslos.

Selbst Israel, über dessen Startberechtigung mancher nach wie vor die Nase rümpft, gehört dieser großen, schrägen europäischen Familie an. »Come together« lautet das Motto des diesjährigen Eurovision Song Contest in Stockholm. Der Slogan variiert jedes Jahr, doch die Botschaft bleibt im Prinzip dieselbe. Der ESC verkörpert letztlich den europäischen Einigungsgedanken – »in Vielfalt vereint«. An so etwas unschätzbar Großem – und sei es nur während einer dreistündigen Fernsehshow – will ich teilhaben, sollen auch meine Kinder teilhaben.

Katharsis Natürlich weiß ich, dass das alles nur eine Illusion ist. Aber auch das ist etwas Entscheidendes, das mich den ESC lieben lässt. Denn nachdem alle Lieder gesungen sind, kommt die Punktevergabe. Und die hat jedes Jahr einen geradezu kathartischen Effekt auf mich und viele, die den ESC glühend verfolgen – denn jetzt ist die Konfettilaune zu Ende.

Spätestens dann, wenn Norwegen wie jedes Jahr seinem Nachbarland Schweden zwölf Punkte gibt oder Armenien und Aserbaidschan einander hasserfüllt ignorieren, wird klar: Die Einheit Europas, die gemeinsame Suche nach dem besten Lied des Abends, das alles fällt politischen Vorlieben und Animositäten zum Opfer. Noch anschaulicher kann man Kindern die Welt nicht erklären.

So gehe ich jedes Mal geläutert aus der Halle. Und während das Konfetti um mich herum weggefegt wird, freue ich mich schon auf den nächsten Mai – wenn wir uns einmal mehr für ein paar Stunden der Illusion hingeben, dass Europa eins ist.

Eurovision Song Contest

Spanien bekräftigt seine Boykottdrohung für ESC

Der Chef des öffentlich-rechtlichen Senders RTVE gibt sich kompromisslos: José Pablo López wirft Israel einen »Genozid« in Gaza und Manipulationen beim Public Voting vor und droht erneut mit dem Austritt

 28.11.2025

Imanuels Interpreten (15)

Elvis Presley: Unser »King«

Fast ein halbes Jahrhundert nach Elvis’ Tod deutet viel darauf hin, dass er Jude war. Unabhängig von diesem Aspekt war er zugleich ein bewunderns- und bemitleidenswerter Künstler

von Imanuel Marcus  28.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Fernsehen

Zieht Gil Ofarim ins Dschungelcamp? 

RTL kommentiert noch keine Namen - doch die Kandidaten-Gerüchte um Gil Ofarim und Simone Ballack sorgen schon jetzt für reichlich Gesprächsstoff

von Jonas-Erik Schmidt  27.11.2025

Rezension

Ein Feel-Good-Film voller kleiner Wunder

Ein Junge, der nicht laufen kann, Ärzte, die aufgeben, eine Mutter, die unbeirrt kämpft. »Mit Liebe und Chansons« erzählt mit Herz und Humor, wie Liebe jede Prognose überwindet

 27.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  27.11.2025

Kino

Echte Zumutung

Ronan Day-Lewis drehte mit seinem Vater Daniel als Hauptfigur. Ein bemühtes Regiedebüt über Gewalt und Missbrauch

von Maria Ossowski  27.11.2025