Serie

Der Kopf als Rührschüssel

Toby Fleishman, gespielt von Jesse Eisenberg, schwankt zwischen Wut und Sorge, Masochismus und Selbstgerechtigkeit. Foto: FX Networks

Ganz ehrlich, ich hielt es für keine gute Idee, Taffy Brodesser-Akners brillantes Romandebüt von 2019, Fleishman steckt in Schwierigkeiten, zu verfilmen. Wie denn, bitte sehr, sollten diese genialen und schönen Worte über Lebens- und Identitätskrisen des mittleren Alters, dieser herrlich brutale Witz und die knochentiefe Ehrlichkeit, diese smarten Kurven und Twists in der Geschichte ihr filmisches Äquivalent finden?

Nun, als die acht Folgen der Miniserie mit mir fertig sind, bin ich erschöpft, aber erfüllt, und ich habe zwei Gedanken: Käsekuchen und Rahel Varnhagen.

KÄSEKUCHEN Wer schon einmal Käsekuchen gebacken hat, weiß um das permanente Rühren, Aufschlagen, Quirlen, Mengen, Unterheben – natürlich alles per Hand, ist ja ein altehrwürdiges Rezept. Bei jeder Zutat schmerzt der Arm mehr. Und jetzt stellen Sie sich vor, Ihr Kopf ist die Rührschüssel! Eine Krise nach der anderen gibt »Fleishman« dazu, und immer schön weiterrühren, damit sich auch alles gut verbindet.
Wie bitte, warum sollten Sie sich etwas ansehen, das Arm- und Kopfschmerzen bereitet? Weil das Ergebnis sich lohnt, ganz so wie beim Käsekuchen. Beim ersten fluffigen Biss ist die Mühe vergessen.

Anders als bei Rahel Varnhagen, deren berühmtes Zitat »Einsam steht jeder, auch liebt jeder allein, und helfen kann niemand dem anderen« in Fleishman nachhallt, ohne dass jemand es ausspricht; scheint es doch so passend angesichts der traurigen Angelegenheiten, die nicht nur Toby Fleishmans Leben auf den Kopf stellen. Da ist die Serie ganz beim Buch.

Toby Fleishman wacht eines Morgens auf und begreift, dass seine Ex-Frau Rachel die beiden Kinder heimlich bei ihm abgeladen hat und verschwunden ist. Unerreichbar für die kommenden Tage. Während Toby sich als leidenschaftlicher Arzt im Krankenhaus verwirklicht, leitet Rachel eine erfolgreiche Künstleragentur und reckt sich nach dem Leben der oberen Zehntausend. Die frische Trennung lag offensichtlich an unvereinbaren Lebensentwürfen und Rachels genereller Gefühlskälte, wie Toby seinen besten Freunden aus Taglit-Tagen, Libby und Seth, immer wieder erzählt.

ALLTAG Toby, der gerade angefangen hat, sich in den modernen Sex-Dating-Möglichkeiten seines neuen Single-Daseins zu aalen, muss plötzlich den Alltag mit Kindern organisieren und zermartert sich gleichzeitig den Kopf, was in seine egoistische Frau gefahren ist, die immer noch nicht wieder aufgetaucht ist.

Er schwankt zwischen durchaus verständlicher Wut und Sorge, zwischen enervierendem Masochismus und Selbstgerechtigkeit, bis man als Zuschauer schließlich dankbar ist, wenn seine robuste Schwester ihn zurechtstutzt: »Du bist geschieden, und du hast die Beförderung nicht bekommen? Willkommen im mittleren Alter. Die Alternative wäre gewesen, jung zu sterben.«

Willkommen im mittleren Alter. Die Alternative wäre gewesen, jung zu sterben.

Schließlich, wenn wir schon richtig schön weichgeklopft und -geknetet sind, erfahren wir, was denn nun mit Rachel los ist und wie Tobys beste Freundin Libby eigentlich ihr Leben nach der 40 findet.

MIKROSKOP Die ehemals ehrgeizige Journalistin lebt als Hausfrau und Mutter in New Jersey – und hasst es. Denn, was Toby als große persönliche Katastrophe ansieht, an der doch irgendwer schuld sein muss, ist im Kern das, was jeden mittelalten Menschen, verheiratet oder nicht, mit Kindern oder nicht, irgendwann einmal heimsucht: die in den Eingeweiden wühlende Frage, was da eigentlich noch kommen soll.

Brodesser-Akner, die auch das Drehbuch schreiben durfte, hat die Zeit nach dem Happy End unters Mikroskop gelegt und drin herumgestochert, bis das, was doch immer so war und so sein muss, sich endlich bewegt.
Jesse Eisenberg als Toby war erste Wahl, mit seiner jeden Moment brechenden Stimme und dieser Nervosität, die ihn mit der Schwerkraft kämpfen lässt, als sei der Boden gefährliches Terrain. Auch die sehnige Intensität von Claire Danes ist perfekt für die Rolle der Rachel.

Doch sind es vor allem Lizzy Caplan als Libby und Adam Brody als Seth, die der Serie die nötige Wärme zum Weitergucken geben. Und es ist Libby, die die Geschichte von Anfang an erzählt.

erkenntnis Und so dämmert fast allen Beteiligten die Erkenntnis, dass die Illusion von Kontrolle über alles, was mit uns geschieht, die uns immer wieder als erstrebenswert verkauft wird, irgendwann in mehr Stücke zersplittert, als wir aufsammeln können. Und da hatte Rahel Varnhagen in ihrem Brief an einen Freund völlig recht: Wir stehen allein da, sogar mit der Liebe. Doch zum Glück widerspricht Brodesser-Akner entschieden dem letzten Part der berühmten Zeilen. Freunde helfen, soweit sie können – so das Fazit.

Und wenn man Rachel Varnhagen weiterliest, was kaum einer tut, steht es auch da: »Halten Sie kein Wort, keinen Unmut, keine Stimmung zurück, beehren Sie mich damit, ich will Ihr Leben wie meines ertragen, doppelt leben ist ja schön.« So, wie sich Käsekuchen zu teilen.

»Fleishman steckt in Schwierigkeiten«, acht Folgen, bei Disney+

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