Shkoyach!

Der Belarusse ist einer, der Birkensaft liebt

Foto: Getty Images/iStockphoto

Haben Sie schon einmal Birkensaft getrunken? Als in der Büroküche meines ehemaligen Arbeitgebers eines Morgens eine Saftpackung mit der kyrillischen Aufschrift »Сок берёзовый с сахаром« auftauchte, wurde sie von den meisten Kollegen zunächst fragend bis skeptisch beäugt. Meine Erläuterung, die russischsprachige Aufschrift stehe für »Birkensaft mit Zucker«, verstärkte die Teamskepsis gegenüber dem fremdartigen Getränk. Auch mein Hinweis, die auf der Verpackung angebrachte Angabe »Сделано в Беларуси« bedeute »Hergestellt in Belarus«, half da nicht mehr. Bei den Kollegen klingelte einfach gar nichts – vom Bürotelefon abgesehen.

Dabei löst die Wortkombination »Birkensaft« und »Belarus« bei mir eine Kaskade an magisch-verklärenden Kindheitserinnerungen aus: Schließlich war es Birkensaft, der mich jedes Mal mit dem unwahrscheinlich tristen und reizarmen Besuch des im gleichnamigen Minsker Bezirk gelegenen Lebensmittelmarktes »Jugo-Sapad« versöhnte. Den Saft bekam man an einer Theke im Glas serviert – und er schmeckte jedes Mal einfach himmlisch. Und so zeichneten sich die gräulichen Straßenzüge der Plattenbausiedlung meiner jungen Jahre vor meinem geistigen Auge ab. Ich fühlte mich wie der Erzähler in Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, der vom Geschmack eines in Tee getunkten Madeleine-Biskuits zu einem Kindheitserinnerungsmahlstrom angeregt wird.

Allein in der Büroküche

Als ich wieder zur Besinnung kam, stand ich allein in der Büroküche. Ich öffnete die Birkensaftpackung und kostete vom gezuckerten Trunk. Zu meiner Enttäuschung schmeckte der Saft nicht nach den unbeschwerten Jahren meiner behüteten postsowjetischen Kindheit.

Dem Geschmack ihrer in zeitliche und geografische Ferne gerückten Heimat spüren viele Einwanderer intensiv nach. Die türkischen, asiatischen, polnischen und arabischen Lebensmittelmärkte in unseren Städten zeugen von der Sehnsucht, die vertrauten Gerüche und Aromen auch in der Fremde nicht missen zu müssen. Wenn man sich schon auf eine komplizierte Sprache, andere Umgangsformen und ein gewöhnungsbedürftiges Klima einlässt, dann soll einem wenigstens das heimische Essen Halt geben!

Das ersehnte Heimatgefühl will sich aber nicht immer einstellen. Als ich einmal in der koscheren Abteilung eines Frankfurter Supermarktes Gefilte Fisch im Glas erblickte, erinnerte ich mich an die episch lange und ziemlich geruchsintensive Zubereitung von gefülltem Karpfen, der ich als Kind einige Male beiwohnen durfte. Auch in Anbetracht der als wunderlich erinnerten Tatsache, dass einige Erwachsene sogar den Fischkopf aßen, erscheint mir die als »Gefilte Fisch« bezeichnete, trübe und unförmige Glaskonservenmasse wenig proustverdächtig.

Umso mehr verzauberte mich kürzlich eine Anekdote meines Vaters aus seiner belarussisch-sowjetischen Kindheit: Birkensaft habe er getrunken, indem er sich im Wald unter eine behutsam angeschnittene Birke legte und den Saft sacht in seinen Mund tropfen ließ. Mit dieser Magie können Pariser Madeleines nicht mithalten.

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025