Graphic Novel

Collage des Jüdischseins

Seit vielen Jahren erfreuen sich sogenannte Graphic Novels steigender Beliebtheit. Das Genre hat mit dichten, anspruchsvollen Erzählungen den Weg aus der Unterhaltungsindustrie ins Feuilleton geschafft.

Dabei spielten im angelsächsischen Sprachraum auch jüdische Themen und Figuren eine zentrale Rolle. Nicht nur in den bedrückenden Maus-Comics von Art Spiegelman, sondern beispielsweise bereits Ende der 70er-Jahre in Will Eisners illustrierten Geschichten über die jüdische Bronx seiner Jugend in Ein Vertrag mit Gott.

Mit der jetzt im Ventil Verlag veröffentlichten Anthologie Nächstes Jahr in wird auch in Deutschland ein neues Kapitel dieses Genres aufgeschlagen. Elf Beiträge umfasst der Band, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

QUERSCHNITT Sie geben nicht nur einen einmaligen Einblick in jüdische Geschichte, Leben und Kultur, sondern bieten darüber hinaus auch einen wundervollen Querschnitt des Genres. Durch erläuternde Texte im Anschluss an jede Erzählung erhebt der Band zudem einen aufklärerischen Anspruch, der angesichts des weitverbreiteten Unwissens über jüdisches Leben und Geschichte wichtig ist.

Der Beitrag über die Darmstädter Haggada erzählt aus dem Spätmittelalter.

Der Eröffnungsbeitrag über die Darmstädter Haggada, eine illuminierte Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, ist eine kurze, aber prägnante Erzählung über die Schwierigkeiten jüdischer Menschen im Spätmittelalter. In düsteren Farben wird eine Parallelität zwischen der Geschichte der Haggada, des Auszugs der Israeliten aus Ägypten und den Erfahrungen in der mittelalterlichen Galut (Diaspora) hergestellt.

Zwar ist der Sammelband durch die Mitherausgeberinnen Antje Herden und Meike Heinigk eng mit Darmstadt verbunden und kehrt auch immer wieder thematisch in die südhessische Stadt zurück, aber die Storys transzendieren mehrheitlich diesen Lokalbezug.

Mit biografischen Stücken über die frühneuzeitliche Kauffrau Glikl bas Judah Leib und den Räuberhauptmann Abraham Picard, jüdischer Gegenspieler des Schinderhannes, gelingen Einblicke in ungewöhnliche jüdische Leben der Vormoderne.

BILDSPRACHE Die Erzählungen sind kurz, ohne dabei die wesentlichen Inhalte zu übergehen. Büke Schwarz lehnt sich in ihrem Beitrag über den Maler und Dichter Ludwig Meidner (1884–1966) mit ihrer schwarz-weißen Bildsprache an den Expressionismus Meidners an.

Die Zeit des Nationalsozialismus und der Verfolgung nimmt auch in dieser Anthologie einen großen Platz ein. Ka Schmitz zeichnet in grellem Rot buchstäblich die Geschichte der jüdischen Résistance-Kämpferin Fanny Azenstarck (1921–1944) nach, Barbara Yelin nimmt sich der Dichterin Mascha Kaléko (1907–1975), genauer gesagt ihres Gedichts »Kein Kinderlied«, an und malt die Worte in düsteren Bildern. Hannah Brinkmann widmet sich dagegen der Berufsfachschule Masada, die in Darmstadt Displaced Persons auf ein Leben in Israel vorbereitete.

Der längste Beitrag stammt von Tobi Dahmen und Christian Jonathan Lamp und erzählt im Stile der »Ligne claire« von Tim und Struppi die Geschichte der beiden deutsch-jüdischen Gründer des amerikanischen Jazz-Labels »Blue Note Records«, Alfred Lion (1908–1987) und Francis Wolff (1908–1971).

Allerdings gibt es auch den ein oder anderen Beitrag, der qualitativ nicht mithalten kann. In »Aaron« von Miriam Hübner und Antje Herden führt der jüdische Vorname eines Säuglings zu einer Konfrontation mit einem älteren Herrn, der als 16-Jähriger in der Wehrmacht gedient und einen sowjetischen Soldaten getötet hat. Die Mutter des Säuglings begegnet der Geschichte des alten Mannes mitleidvoll, sodass man sich als Leser angesichts des unterkomplexen Umgangs mit dem Thema an den Kopf fasst.

FIKTION Auch die gelungene Geschichte über den jüdischen Friedhof in Darmstadt arbeitet mit einer unnötigen Fiktion: Der große, aus Darmstadt stammende Architekt des Berliner Pergamonmuseums, Alfred Messel (1853–1909), taucht hier auf, obwohl er zum Protestantismus konvertierte und seine Grabstätte sich in Berlin auf dem St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg befindet.

Die Anthologie passt gut in das Festjahr, weil sie die Vielfalt jüdischen Lebens einfängt.

Das sind allerdings Details, die der inhaltlichen und grafischen Stärke des Gesamtbandes nichts anhaben können. So endet dieser mit dem großartigen Beitrag »Jüdische Gegenwart« von Miriam Werner und Moni Port. In einer Art Collage werden Zeichnungen, Fotos, Zeugnisse und Text übereinandergelegt und erzählen anregend vom Jüdischsein im heutigen Deutschland.

Die Anthologie passt somit hervorragend in das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«, weil sie die Vielfalt jüdischer Geschichte und jüdischen Lebens zeichnerisch und erzählerisch beeindruckend einfängt.

»Nächstes Jahr in«. Comics und Episoden des jüdischen Lebens. Herausgegeben von Meike Heinigk, Antje Herden, Jonas Engelmann und Jakob Hoffmann. Ventil, Darmstadt 2021, 168 S., 25 €

Andrea Kiewel

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