Finale

Ayalas Welt

»Liebe Eltern! Bitte kleidet eure Kinder zum israelischen Unabhängigkeitstag in Blau-Weiß und bringt eine Blume und eine Münze mit. Herzlichen Dank, die Kindergärtnerinnen.«

Dieser Zettel hing einen Tag vor Yom-Haazmaut in unserer Kita. »Was soll das?«, fragte mein Mann, der mit 18 Jahren in der DDR wegen Wehrdienstverweigerung aus der FDJ ausgeschlossen worden war: »Soll ich meinen Sohn etwa im Blauhemd in die Kita schicken?«

Blau-Weiß Ich selbst hatte mir über die Yom-Haazmaut-Party keine tieferen Gedanken gemacht. Aus meiner Studienzeit in Jerusalem erinnere ich mich an schöne Grillfeten bei Freunden, aber auch daran, dass man sich an dem Feiertag nicht auf den Zionsplatz wagen konnte, ohne aus Sprühdosen mit ekligem Schaum bespritzt zu werden oder eins mit einem Gummihammer übergebraten zu bekommen. Aber solche Unsitten sind in der Gemeindekita ja nicht erlaubt. »Lass die Kinder doch feiern«, sagte ich. »Diaspora-Eltern brauchen das. Du weißt doch, wie schuldig sie sich fühlen, weil sie nicht in Israel leben.« »Die spinnen, die Juden«, meinte mein Mann. Doch als Freund des jüdischen Volkes zog er unserem Söhnchen am Morgen des Unabhängigkeitstages ein blau-weiß gestreiftes Hemd an, darüber eine hellblaue Jacke mit einem grinsenden weißen Mainzelmännchen.

Dem Kleinen muss die Yom-Haazmaut-Party sehr gefallen haben. Als ich ihn aus der Kita abholte, strahlten seine Augen noch blauer als die israelische Fahne, die er jubelnd schwenkte. Mit seinen Pausbacken und den blonden Locken hätte ihn jeder Propagandist sofort als Fotomodell gebucht. Jetzt konnte ich meinen Mann verstehen. Ich dachte an andere Winkelemente, die ein Zweijähriger begeistert hätte schwenken können – das mit Hammer und Sichel wäre noch das Harmloseste gewesen.

sandkasten Außerdem hatte ich ein Problem: Ich war auf einem Multi-Kulti-Spielplatz in Berlin-Schöneberg verabredet, der nicht nur von akademischen Spätgebärenden, sondern auch von arabischen und türkischen Familien frequentiert wird. Es erschien mir deshalb klüger, ohne Flagge am Sandkasten zu erscheinen. Was mein Sohn natürlich nicht einsah. Er wehrte sich nach Leibeskräften, als ich ihm sein neues Spielzeug wegnehmen wollte. Im Eifer des Gefechts ging die Fahne kaputt.

Zum Glück, wie sich herausstellte. Denn auf dem Spielplatz angekommen, schnappte sich der Bengel die Schaufeln aller anderen Kinder und weigerte sich, sie wieder herzugeben. Dann bewarf er die Mütter mit Sand. Ich möchte gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn das alles unter zionistischer Flagge passiert wäre. Mein Söhnchen wäre als Aggressor und Siedler gebrandmarkt worden. Man hätte die UN-Kinderrechtsorganisation eingeschaltet. Nur dank meiner Vorsicht ist eine nahöstliche Sandplatzkrise knapp verhindert worden. Bis nächstes Jahr dann wieder – in Blau-Weiß!

Genf

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