Meinung

Anerkennung statt Umklammerung

In der Papierwerkstatt Friedrichshagen wird eine Bibel »Die ganze Heilige Schrift« aus dem Jahr 1737 repariert. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

An der Universität Leipzig ist eine Juniorprofessur für Judaistik durch das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausgeschrieben. Man könnte sich freuen, wenn diese Freude nicht einen schalen Nachgeschmack hinterließe, denn diese Stelle ist nicht etwa im Fach Jüdische Studien/Judaistik/Jüdische Theologie ausgeschrieben, sondern an einer Evangelisch-Theologischen Fakultät, genauer: am Institut für Alttestamentliche Wissenschaft. Gelehrt werden soll »moderne jüdische Torainterpretation, neuzeitliche jüdische Literatur und Philosophie sowie jüdische Kultur- und Zeitgeschichte«. Die Bewerber sollen sich »konstruktiv« in die Ausbildung für den Beruf des Pfarrers und Religionslehrers einbringen.

Wir können nun fragen, warum angehende protestantische Theologen »moderne jüdische Torainterpretation« oder »neuzeitliche jüdische Literatur und Philosophie« lernen sollen. Zu fragen wäre auch, was mit »konstruktivem« Lehren gemeint ist: Soll Stoff vermittelt werden, der angehenden christlichen Funktionsträgern etwas nützt? Sollen die Wissenschaft des Judentums und ihre modernen Vertreter dazu beitragen, dass die Theologie ihren jahrhundertealten Antijudaismus überwinden lernt? Ist das ihre Aufgabe?

AUGENHÖHE Abraham Geiger hatte schon 1836 die Forderung nach der Gründung einer Jüdisch-Theologischen Fakultät an einer Universität gefordert: Geiger wollte die Pflege der jüdischen Wissenschaften aus den Reihen des Judentums selbst heraus, aber er suchte auch die Teilhabe der Wissenschaft des Judentums an der akademischen Öffentlichkeit: nicht, um Theologie wie die Christen zu betreiben, sondern um die wissenschaftliche Pflege der eigenen Literaturen an den Universitäten – auf Augenhöhe mit der zeitgenössischen Wissenschaft – betreiben zu können. Nach Geiger sollten die Theologien Hand in Hand gehen, freundlich einander unterstützen, dabei aber auch »den gerechten Anspruch machend«. Dass die jüdische Theologie eine Unterabteilung der christlichen sein solle, stand ihm dabei sicher nicht vor Augen.

Die Jüdischen Studien sollten nicht zu bloßem »Kirchenmaterial« herabgestuft werden.

Noch harscher formulierte es Leopold Zunz 1845, nur kurze Zeit später. Er stellte fest, dass »der Blick der Theologen und ihre Liebe dem Worte Gottes, nicht dem jüdischen Autor (galt)«. Zunz protestierte in deutlichen Worten, um die jüdischen Literaturen und die Wissenschaft des Judentums vor dem hegemonialen Zugriff der Theologie zu schützen: »Den Namen ›rabbinisch‹ hat die jüdische Literatur gleichfalls von den Theologen erhalten. Diese haben jüdische Bücher stets nur aus einem einseitigen Standpunkte, und die Juden nur als Kirchenmaterial betrachtet: als Zeugen oder als Widersacher eines siegenden Christenthums.«

HEGEMONIE Die Juden als Kirchenmaterial – sollte sich daran etwa bis heute kaum etwas geändert haben? Der aufs Erste wohlmeinende Anspruch, dass die angehenden Theologen im Rahmen der theologischen Ausbildung die Grundlagenliteraturen des Judentums lernen sollen, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als der altneue Versuch, den hegemonialen Anspruch der christlichen (und zumeist protestantischen) Theologie auf die Jüdischen Studien und ihre Themen zu zementieren, wie dies ja bereits durch noch immer bestehende und konfessionsgebunden besetzte Instituta Judaica in Tübingen, Mainz, Münster, Göttingen und Berlin der Fall und wie es nun auch für Leipzig geplant ist. Und wird diese professorale

Konfessionsgebundenheit auf einer solchen Stelle aufgehoben, so macht es die Sache eigentlich nur noch schlimmer, denn dann werden die heutigen Repräsentanten der Wissenschaft des Judentums zu Zuarbeitern der christlichen Theologie. Die von ihr selbst formulierten und für wichtig erachteten Themen der Jüdischen Studien und der Jüdischen Theologie werden auf diese Weise langfristig im Sinne der Kirche und ihrer Bedürfnisse gemodelt und kanalisiert.

EINLADUNG Wer braucht denn bei den Alttestamentlern die Responsen-, das heißt die Rechtsliteratur der Juden? Wer interessiert sich für die aschkenasische Bibeltextforschung, wo es doch die Bibelausgaben der Stuttgarter Bibelgesellschaft gibt? Und wozu sollte man die Liturgie und Kommentarliteratur der arabischsprachigen Karäer, die hebräisch-französischen Glossare der Juden in Nordfrankreich oder die Literatur der Juden in Byzanz im 15. Jahrhundert erforschen, alles Themen, die für die christliche Theologie entweder keine Rolle spielen oder ohnehin keine Anknüpfungspunkte bieten?

Bevor also an christlichen Instituten rabbinische Literatur und »jüdische Torainterpretation« gelehrt wird, wäre es schön, wenn die Liebe zu Israel, dem Judentum und zu den jüdischen Literaturen seitens der Theologie dazu führen würde, dass man die Jüdischen Studien und die Jüdische Theologie an deutschen Universitäten stärkte – und zwar außerhalb der Theologischen Fakultäten. Jeder jüdische und nichtjüdische Philologe oder Theologe ist dann herzlich eingeladen, im Kontext der Wissenschaft des Judentums und der Jüdischen Theologie mitzulernen, wie dies an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg oder an der Universität Potsdam der Fall ist, ohne dass das Judentum und seine Literaturen gleich wieder für die Pfarrerausbildung vereinnahmt werden. Solange solche Stellen noch ausgeschrieben sind, bleibt ein schaler Nachgeschmack bei jeder Feier zur 1700-jährigen jüdischen Präsenz in Deutschland.

Die Autorin lehrt das Fach Bibel und Jüdische Bibelauslegung an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg.

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann wird heute mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt. Bislang schwieg sie zur scharfen Kritik an ihrer Arbeit. Doch jetzt antwortete die ARD-Journalistin ihren Kritikern

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025

Show-Legende

Mr. Bojangles: Sammy Davis Jr. wäre 100 Jahre alt geworden

Er sang, tanzte, gab den Spaßmacher. Sammy Davis Jr. strebte nach Erfolg und bot dem Rassismus in den USA die Stirn. Der Mann aus Harlem gilt als eines der größten Showtalente

von Alexander Lang  04.12.2025

Preisvergabe

Charlotte Knobloch kritisiert Berichterstattung von Sophie von der Tann

Dass problematische Berichterstattung auch noch mit einem Preis ausgezeichnet werde, verschlage ihr die Sprache, sagt die Präsidentin der IKG München

 04.12.2025

Philosophie

Drang zur Tiefe

Auch 50 Jahre nach ihrem Tod entzieht sich das Denken Hannah Arendts einer klaren Einordnung

von Marcel Matthies  04.12.2025

Kulturbetrieb

»Wie lange will das politische Deutschland noch zusehen?«

Der Bundestagskulturausschuss hörte Experten zum Thema Antisemitismus an. Uneins war man sich vor allem bei der Frage, wie weit die Kunstfreiheit geht

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 03.12.2025