Film

And the Winner is ...

»Wir leben alle in der Lüge«: Joseph Cedar Foto: ddp

Film

And the Winner is ...

Zum zweiten Mal ist der israelische Regisseur Joseph Cedar für einen Oscar nominiert: Schafft er es diesmal?

von Rüdiger Suchsland  21.02.2012 09:32 Uhr

Vor fünf Jahren gewann er bei der Berlinale einen Silbernen Bären für die beste Regie, vor einem Jahr in Cannes, dem wichtigsten Filmfestival der Welt, eine Palme für das beste Drehbuch, und vielleicht hält er am Wochenende den Oscar in der Hand: Joseph Cedars Film Footnote (»Hearat Shulayim«), für den er in der Kategorie »Bester Ausländischer Film« nominiert ist, ist eine sarkastische Familienkomödie über einen Vater-Sohn-Konflikt, die sich aber auch über die Welt und die Rituale der Wissenschaft mokiert – im Zentrum steht immerhin ein Professor für Talmudstudien. Footnote erzählt auch viel über das Israel von heute und entfaltet ein moralisches Dilemma: Gibt es Dinge, die wichtiger sind als die Wahrheit? Eine Frage, die weit über diesen Film hinausreicht.

»Natürlich ist es die ethische Botschaft meines Films, dass absolute Wahrheit unmöglich ist, dass es Wichtigeres gibt«, erklärte der Regisseur vergangenes Frühjahr im Gespräch mit dieser Zeitung: »Wir alle leben in der Lüge.« Vielleicht müsse das so sein, aber quälend sei es trotzdem.

philosophie Das israelische Kino ist derzeit so stark wie seit Jahren nicht. Dafür stehen Festivalerfolge der letzten Jahre wie Waltz with Bashir, Lebanon oder gerade erst auf der Berlinale Soldier/Citizen. Und das Werk von Cedar, der bereits 2008 mit Beaufort für einen Oscar nominiert war.

Joseph Cedar wurde 1968 in New York geboren. Im Alter von sechs Jahren zog die Familie nach Israel. Sein Vater ist Universitätsprofessor, daher ist ihm die akademische Szenerie seines letzten Films sehr vertraut. »Ich kenne den Menschenschlag, die Art, sich zu benehmen, zu sprechen, die Machtkämpfe hinter der formalen Freundlichkeit.«

Cedar selbst hat ebenfalls akademische Erfahrungen. Bevor er Filmregisseur wurde, studierte er Philosophie und Theaterwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem. Das Philosophiestudium und die Lust an der dramatischen Zuspitzung merkt man auch seinen Filmen an. Sein Regiedebüt, der Thriller Time of Favor, verknüpft eine Liebesgeschichte mit der Frage, welche religiösen Gruppen das Recht haben, auf dem Tempelberg von Jerusalem zu beten, und der Geschichte eines fanatischen jungen orthodoxen Juden, der ein Attentat plant.

Cedars zweiter Film Ceasefire (2004) spielt 1981 und verbindet eine dichte Innenansicht des Nahostkonflikts mit universalen Themen. Erzählt wird von einer Witwe mit zwei Töchtern im Teenageralter, die in eine Siedlung in Westjordanland ziehen. Auf unterschiedliche Weise begegnen die drei der für sie neuen Welt der Siedler, sie fühlen sich angezogen wie abgestoßen. Die unaufdringlich formulierte Botschaft des Films ist, dass in jeder Gemeinschaft am Ende die repressiven Züge überwiegen und der Einzelne besser Abstand zur Gruppe hält – eine Provokation in Zeiten von Bushs Krieg gegen den Terror und der Endphase von Ariel Scharons Regierungszeit.

Berlinale 2007 folgte Beaufort, mit dem Cedar auf der Berlinale und damit zum ersten Mal in einem »A-Wettbewerb« vertreten war. Cedar erzählt hier die Geschichte des erst 22-jährigen Kommandeurs eines Militärstützpunkts nahe der uralten südlibanesischen Kreuzfahrerfestung Beaufort, mit deren Sprengung im Jahr 2000 18 Jahre israelischer Besetzung zu Ende gingen. Die Zahal-Einheit muss auf ihrem Außenposten ausharren und wird dabei von ihren unsichtbar bleibenden Feinden langsam aufgerieben.

Ein nervenzerfetzender Psychothriller über tagelanges Warten, ein wagemutiges Unterfangen im Kino. Cedar studiert die Gesichter, die Gesten, das Verhalten von Männern, die Zielscheiben der Feinde sind. Es geht darum, wie sich der Krieg auf die Soldaten auswirkt und nicht, ob die »gute« oder die »böse« Seite gewinnt. Der Film nach dem Roman von Ron Leshem gewann den Silbernen Bären der Berlinale für die beste Regie und wurde 2008 für den Auslands-Oscar nominiert.

ängste In Footnote ist der Nahostkonflikt erstmals völlig an den Rand gedrängt. Nur in der Paranoia der Hauptfigur, in der Hysterie dieser dysfunktionalen Familie mag man Reflexe politischer und sozialer Verhältnisse sehen. Eines allerdings verbindet diese neueste Arbeit Cedars mit seinen früheren. Das untergründige Thema aller seiner Filme ist Angst und deren Verdrängung im israelischen Alltagsleben. In einem Interview hat der 43-jährige orthodoxe Jude einmal von seinem Vater erzählt. Er sei »in Watte gehüllt« aufgewachsen und habe, bis er 14 war, nicht allein die Straße überqueren dürfen. Joseph Cedar aber liebte die Gefahr. Er hat, wie seine drei Brüder, bei der Armee in einer Kampfeinheit an der Front gedient. »Was habe ich falsch gemacht?«, habe sein Vater einmal gefragt, erzählt er: »Warum habt ihr niemals Angst?« Dabei sei er selbst im Grunde viel ängstlicher als seine Eltern.

Am Sonntag in Los Angeles ist Cedar nicht der Favorit. Die Buchmacher geben ihm nur gewisse Außenseiterchancen, genauso wie der polnischen Regisseurin Agniezka Holland mit ihrem Schoa-Drama In Darkness. Ganz vorne liegt der iranische Film Nader and Simin von Asghar Farhadi. So oder so aber ist Joseph Cedar jetzt schon einer der künstlerisch erfolgreichsten Regisseure in Israels Filmgeschichte.

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Ausstellung

Sprayende Bildhauerin mit Geometrie

Das Museum Wiesbaden zeigt Werke Louise Nevelsons und eines Künstlerpaares

von Katharina Cichosch  20.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025