Sprachgeschichte(n)

Alles im Dalles

Dalles in der Staatskasse: Finazminister Wolfgang Schäuble Foto: dpa

Sprachgeschichte(n)

Alles im Dalles

Von der hebräischen Armut zu leeren deutschen Portemonnaies

von Christoph Gutknecht  19.02.2013 12:26 Uhr

»Was ist Dalles?«, fragt Chaim Jossel in dem Buch Schabbes-Schmus. Schmonzes Berjonzes (1907) und gibt die Antwort: »Dalles ist ein jiddisches Wort, dos auch bei Gojim zu finden ist.« Im Deutschen gibt es sogar zwei Wörter: Eines für »zerbrochen« (»Die Tasse hat den Dalles«) – stand als »Talles« schon in Sebastian Francks Weltbuch von 1534 und geht laut Kluge-Seebolds Etymologischem Wörterbuch auf das hebräische Wort »Tallit« zurück, also den Gebetsschal. Das andere Wort, seit dem 18. Jahrhundert aus dem westjiddischen »dales« (Armut) entlehnt, steht für Geldnot und stammt vom gleichbedeutenden mittelhebräischen »dalluth« ab.

Regional Im Jiddischen hieß es beispielsweise »Der daless faijft im in ale winkelech.« Aus Frankfurt/Main gelangte das Wort über Regionalvarietäten ins Standarddeutsche, dann ins Rotwelsche. Wer kein Geld hatte, »war im Dalles« oder »hatte den Dalles« (seit 1820 belegt) – eine leere Kasse und einen leeren Magen. Ab 1900 meinte das Wort auch Übelkeit oder Erkältung.

Bei Johann J. Fries (Humoristische Memoiren, 1892) war Dalles in Frankfurt »jener öffentliche Platz am östlichen Ende der Zeil«, an dem sich Tagelöhner trafen. Die Breslauer Zeitung zitierte 1864 einen Berliner Gefangenen: »… da ich an Barem Mangel leide, was durch meinen guten Humor ersetzt wird: Ein lustiger Dalles geht über Alles.« Weinberg (Die Reste des Jüdischdeutschen, 1969) bezeichnet diese Maxime als »verächtlich für Menschen, die ihre Armut leicht zu nehmen schienen«.

Für den Sozialdemokraten Hermann Molkenbuhr war 1910 der Militarismus »Ursache des Reichsdalles«. Erich Mühsam notierte zu einem Auftrags-Chanson: »Schweinerei, was der Dalles geistigen Menschen für Prostitution aufzwingt!« Tucholsky griff in seinem Roman Schloss Gripsholm (1931) Presseleute an: »Noch wenn sie den Dalles schildern, ist es ein feiner Dalles. Sie schweben eine Handbreit über dem Boden.«

deutschlandlied Knopp und Kuhn erwähnen in ihrer Studie Das Lied der Deutschen (1988) eine Mainzer Karnevals-Persiflage von 1916: »Deutschland, Deutschland schwer im Dalles/Schwer im Dalles in der Welt,/wenn die Marmelad nit alles/brüderlich zusammenhält.« Die Bombe, eine Czernowitzer deutsch-jüdische Streitschrift, brachte 1931 den Vers: »Ausgleich, Ausgleich über alles!/Niemand hat noch heute Geld!/Und von Kopf bis Fuß auf Dalles/Sind wir nebbich eingestellt.« Zeitgleich resümierte der Wiener Kabarettist Fritz Grünbaum: »Mein ganzer Reichtum war mein Lied, / Und das erklärt euch alles./ Denn unverträglich seit tausenden Jahrn/Sind Frauenliebe und – Dalles!«

Heute hört man »Dalles« nur noch in wenigen, meist regionalen Wendungen: im Rheinland »em den Dalles gin« (den Rest geben), in Schwaben »der hat sein Dalles« (sein Teil abbekommen). Robert Sedlaczek schreibt in den mit Reinhardt Badegruber verfassten Wiener Wortgeschichten (2012), ihm habe »als Student der Dalles außighängt«, und Teuschls Dialektlexikon (2007) zitiert aus Wien: »Eahm geht der Dalles hint net zsamm« (er ist in Nöten) und »dem rennt der Dalles nach«.

Vielleicht ist es an der Zeit, angesichts galoppierender Staatsschulden und leerer öffentlicher Kassen, den Dalles wieder in den allgemeinen Sprachgebrauch zurückzubringen. Herr Finanzminister Schäuble, übernehmen Sie!

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025

Literatur

Bestseller aus Frankreich: »Der Barmann des Ritz«

Philippe Collin hat ein packendes Porträt über einen jüdischen Barkeeper im Zweiten Weltkrieg geschrieben

von Sibylle Peine  16.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Nach Absage in Belgien

Lahav Shani in Berlin: Ein außergewöhnliches Konzert

Der Israeli hielt die Spannung mit den Händen – der Dirigent und die Münchner Philharmoniker wurden mit Standing Ovations gefeiert

von Maria Ossowksi  16.09.2025

Berlin

Kulturausschuss lädt Dirigenten Lahav Shani zu Gespräch ein

Die Konzert-Absage an den israelischen Dirigenten sorgt für Kritik - und für Gesten der Solidarität. Nach einem Konzert in Berlin macht auch der Kulturpolitiker Sven Lehmann eine Ansage

 16.09.2025

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025