Imanuels Interpreten (3)

Allee Willis: Die bekannteste Unbekannte

Allee Willis (1947 - 2019) Foto: picture alliance / Richard Shotwell/Invision/AP

Wer in der Welt der U-Musik nur ein einziges Album aufnimmt, das auch noch floppt, hat in der Regel schlechte Karten. Und wer gerade erst anfängt, Songs für andere Künstler zu schreiben, wird im Normalfall nicht gleich enorme Hits landen. Allerdings kann eine Feinjustierung der kreativen Tätigkeit Wunder bewirken – zumindest, wenn man Allee Willis heißt.

Wir kennen sie, obwohl wir sie nicht kennen. Wer das Radio einschaltet, wer die TV-Serie »Friends«, das Musical »The Color Purple« oder die Komödie »Beverly Hills Cop« von 1986 gesehen hat, kennt sie – und kennt sie zugleich nicht. Wer irgendwann zwischen 1978 und heute Diskotheken besucht hat, kennt Allee Willis, ohne ihren Namen jemals gehört zu haben. Sie ist die Unbekannte hinter Songs, von denen einige die Welt im wahrsten Sinne des Wortes bewegt haben.

Als Alta »Allee« Sherral Willis 1947 in Detroit in eine jüdische Familie hineingeboren wurde, deutete nichts darauf hin, dass sie als Songschreiberin in die Geschichte eingehen würde. Ihr Vater Nathan Willis war kein Musiker, sondern Schrotthändler, ihre Mutter Rose Grundschullehrerin. Schon als Schülerin trieb sich Allee in der Nähe des Motown-Studios herum, wo ihr zufolge der Soul, – das Genre, das ihr am meisten bedeutete –, durch die Wände nach außen drang.

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»Childstar« war der Title Track von Allee Willis’ einzigem eigenen Album von 1974.

Bürgerrechte und Werbematerial

Nach der Schule begann Allee ein Journalismus-Studium an der University of Wisconsin-Madison, während sie für Bürgerrechte und gleiche Chancen für alle Amerikaner demonstrierte. Im Jahr 1969 fand sie sich plötzlich bei Columbia Records in New York wieder. Hier verfasste sie emsig Texte für Werbematerial und Covertexte für Schallplatten.

Da aber auch ihre musikalische Begabung offensichtlich war, landete Allee Willis 1974 im Aufnahmestudio, wo ihr einziges Album »Childstar« entstand. Den Einfluss, den Black Music auf sie hatte, versteckte sie nicht. Schöne, zum Teil niedliche Songs nahm sie auf. Dennoch verkaufte sich das Album kaum.

Was sich aber langsam herauskristallisierte: Ihre Berufung war eindeutig das Songschreiben. Die Sängerin Bonnie Raitt war die erste berühmte Kollegin, die einen ihrer Songs aufnahm, nämlich »Got You on my Mind«. Es folgten die Brüder Michael und Randy Brecker, deren Jazz-Funk-Combo The Brecker Brothers zwei Kompositionen von ihr einspielte.

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Allee Willis gehört zu den Urhebern vieler Earth, Wind & Fire-Songs, darunter »Can’t Let Go« (1979, vom Album »I Am«).

Begegnung mit Maurice White

Während sie später bei einem Comedy-Club arbeitete, schrieb Allee Willis Stücke für den R&B-Star Patti LaBelle und den Meister-Keyboarder Herbie Hancock. Der entscheidende Moment kam, als sie Verdine White vorgestellt wurde. Diese Begegnung veränderte das Leben der »interessantesten Frau, von der Sie nie gehört haben« (»Washington Post«).

Verdine White ist der Bruder des 2016 verstorbenen Genies Maurice White, dem Gründer und früheren Bandleader von Earth, Wind & Fire (EWF). Es dauerte nicht lange, bis Maurice sie bat, Songs zu schreiben. Es ging um »I Am«, eine Schallplatte, die Allee Willis komplett mit kreieren sollte. Wer hätte da nein gesagt? »I Am«, 1979 veröffentlicht, wurde eines der brillantesten Jazz-Funk- und Soul-Alben aller Zeiten.

Zuerst co-komponierte sie »September«, einen Song, der bis heute der größte EWF-Hit ist und weiterhin konstant im Radio gespielt wird. Dieser war ihre Eintrittskarte in die Band-Familie. Mit Maurice White und anderen Akteuren arbeitete sie dann an dem Funk-Kracher »In the Stone« mit seinem unglaublichen, majästetisch anmutenden Bläser-Intro, sowie Songs wie »You and I« und »Star«.

Der Dokumentarfilm »The World According to Allee Willis« erschien im November in den USA.Foto: picture alliance / Everett Collection | ©Magnolia Pictures/Courtesy Everett Collection

Auch am kommerziellsten Disco-Hit, den EWF zu dieser Zeit in Kooperation mit The Emotions aufnahm, nämlich »Boogie Wonderland«, einem Song, der selbst so manchem eingefleischten Earth, Wind & Fire-Fan zu weit ging, war Allee Willis beteiligt.

Text und Groove

Im Jahr 1983 veränderte sich EWF. Die Band warf einige ihrer wichtigsten Markenzeichen, darunter ihre krispen Bläsersätze und die starke Jazz-Funk-Tendenz, kurzerhand über Bord. Bezeichnenderweise war es in den Folgejahren Allee Willis, die mit »Could it be Right« (1983) und »Sunday Morning« (1993) noch zwei Songs zulieferte, die dem traditionellen EWF-Sound entsprachen. Der überwiegende Rest bestand aus programmierten Stücken, die sich zu sehr an ebenso nervige wie monotone Modeerscheinungen anpassten.

Vorher, in den guten alten Zeiten, lernte Allee Willis viel von Maurice White – auch über das Texten: »In jedem Song gab es diese Stelle, an der Baa-dee-jaaa gesungen wurde. Ich fragte ihn, ob wir diesen Teil durch richtige Wörter ersetzen würden«, sagte sie einst in einem Interview. Die Antwort kam nicht so klar rüber, wie sie es sich erhofft hatte. Also fragte sie ihn erneut: »Was zur Hölle bedeutet Baa-dee-jaaa?«. Maurice klärte diesen Punkt mit einer überzeugend formulierten Gegenfrage: »Who the fuck cares?«

»Von ihm lernte ich die wichtigste Regel für das Songschreiben: Der Text darf nie mit dem Groove kollidieren.« Dies nahm sie sich zu Herzen – auch als sie mit Maurice White und Joe Esposito einen der faszinierendsten und erhebendsten Funk-Songs aller Zeiten schrieb, nämlich »Can’t Let Go«.

Extravaganz und Parties

Im Jahr 1979, als in Amerika viele der besten Soul- und Funk-Stücke geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht wurden, trug Allee Willis entscheidend dazu bei. Diese in die Rubrik der Black Music gehörenden Sub-Genres wurden dank ihrer Eingaben ein kleines bisschen jüdisch. Earth, Wind & Fire hätte man zeitweise ohne weiteres in Earth, Willis & Fire umbenennen können.

Wer die Diskografie von Allee Willis liest, wird sofort erkennen, welchen Einfluss sie auf die U-Musik hatte – und postmortem weiterhin hat. Auch Künstler und Bands wie Cyndi Lauper, The Rembrandts, Sheena Easton, Lady Gaga und die Pet Shop Boys sangen und spielten ihre Lieder – und tun dies zum Teil immer noch. Selbst Rufus & Chaka Khan nahmen zwei ihrer Songs auf, darunter die Funk-Ballade »Lilah« vom eher unbekannten, aber dafür brillanten Album »Camouflage«.

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Die jüdische Komponistin Allee Willis liebte waschechten Funk. Dies ist auch in »Lilah« hörbar, einem Song, den sie für Rufus & Chaka Khan schrieb (vom Album »Camouflage« von 1981).

Willis, die Ende 2019 im Alter von 72 Jahren an Herzversagen starb, bekam im Lauf ihrer Karriere zwei Grammy Awards – nämlich für die Filmmusik zu »Beverly Hills Cop« sowie für »The Color Purple«. Im November wurde in den USA der Dokumentarfilm »The World According to Allee Willis« veröffentlicht, der ihr teilweise schrilles Leben beleuchtet.

Fast dreißig Jahre lang war sie mit dem Produzenten Prudence Fenton verheiratet. Typisch für sie waren auch für ihre grell-extravagante Bekleidung und farbenfrohen Hüte. Ihre spektakulären Parties, die sie in ihrem Haus gab, blieben jenen, die das Glück hatten, zu den Gästen zu gehören, in Erinnerung.

Zuhause in Hollywood war Allee Willis stets die schrille Kollegin, Freundin und bekannteste Bekannte. Außerhalb von Los Angeles blieb sie aber die bekannteste Unbekannte, der die U-Musik viel zu verdanken hat. Fünf Jahre nach ihrem Tod fehlt sie in beiden Welten.

»Imanuels Interpreten« ist eine Kolumne über jüdische Musiker von Imanuel Marcus. marcus@juedische-allgemeine.de

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