Nachruf

Abschied von Michael Degen

Michael Degen sel. A. (1932–2022) Foto: Mike Minehan

Nachruf

Abschied von Michael Degen

Sein Schaffen und Lebensweg beeindruckten viele. Nun starb der Schauspieler im Alter von 90 Jahren

von Katrin Richter  14.04.2022 08:26 Uhr

Seine Lieblingsstadt war Jerusalem, das sagte Michael Degen einmal in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen. Er wusste eigentlich gar nicht, warum: »Vielleicht ist es die Geschichte, die Lage oder der Geruch dieser Stadt. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist Jerusalem für mich eine der ganz großen Weltstädte – obwohl es so klein ist.«

Michael Degen war auch ein Großer – obgleich von zarter Statur. Mit durchdringendem Blick, wissendem Mund und erzählenden Händen. Er war der Inbegriff des gepflegten Herrn. Und er war der Inbegriff eines Schauspielers, der das Leben in vielen Schattierungen gesehen hatte und es von seiner schrecklichsten Seite erleben musste.

VERSTECK Dieses Leben war anfänglich geprägt von Ausgrenzung und Verfolgung. Geboren war er in Chemnitz, sein Vater wurde ermordet, Degen selbst überlebte die NS-Zeit im Versteck, als »U-Boot« untergetaucht mit seiner Mutter Anna. Die Erinnerungen daran verarbeitete er in seiner 1999 erschienenen und 2006 von Jo Baier verfilmten Autobiografie Nicht alle waren Mörder: Eine Kindheit in Berlin.

Es waren Erinnerungen, die ihm in Interviews immer wieder beinahe die Stimme raubten und Tränen in die Augen schießen ließen. Dass die Bedrohung mit dem Ende des Krieges nicht vorbei war, musste Degen Jahrzehnte später erleben, als Neonazis seine Hamburger Wohnung verwüsteten und er Morddrohungen erhielt, nachdem er gegen ein Treffen von SS-Veteranen protestiert hatte.

Sein Leben war anfänglich geprägt von Ausgrenzung und Verfolgung.

Degens Schaffen und Lebensweg beeindruckten viele, jüngst auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ihm zum 90. Geburtstag gratulierte: »Ihre Biografie spiegelt den Abgrund deutscher Geschichte. Trotz allem, was Ihnen und Ihrer Familie angetan wurde, haben Sie sich nicht von Deutschland abgewandt«, so das Staatsoberhaupt.

ISRAEL Michael Degen kehrte nach Deutschland zurück. Ende der 40er-Jahre war er nach Israel gegangen und arbeitete als Schauspieler an den Kammerspielen in Tel Aviv. Doch nach zwei Jahren verließ er die Stadt wieder, obwohl er »am liebsten dageblieben« wäre, wie er unserer Zeitung erzählte. Was zog ihn zurück? »Meine Muttersprache war und ist Deutsch. Und obwohl ich in Israel Klassiker wie Shakespeare oder Molière gespielt habe – alles auf Hebräisch –, bleibt Muttersprache nun einmal Muttersprache. Ich hatte große Sehnsucht danach, wieder einmal in deutscher Sprache auf der Bühne zu stehen. Und das habe ich dann ja auch getan.«

Degen spielte in Klassikern wie William Shakespeares Wie es euch gefällt, arbeitete mit Theatergrößen wie Bertolt Brecht, George Tabori oder Peter Zadek – mit Letzterem im Stück Ghetto von Joshua Sobol, in dem er Jacob Gens spielt, den Chef des Judenrats im Wilnaer Ghetto.

WÜRDIGUNG »Ein Schauspieler kann einer Rolle, die er spielt, nur die Eigenschaften geben, die auch er in seiner Persönlichkeit hat«, das schrieb der israelische Dramatiker Joshua Sobol noch zum 90. Geburtstag von Michael Degen. Das war am 31. Januar. Nur wenige Wochen später, am 9. April, ist Michael Degen gestorben.

Mit ihm geht ein Mann, der Ernstes, Populäres, Einfaches, Kompliziertes – und richtige »olle Schnulzen« spielen konnte. Mit ihm geht auch ein großes Stück deutscher Kinogeschichte. In Erinnerung bleibt er unter anderem in der Rolle des Kurt Blumenfeld in Margarethe von Trottas Film Hannah Arendt. Sie führte ihn wieder in seine Lieblingsstadt, nach Jerusalem.

Sehen!

»Der Meister und Margarita«

In Russland war sie ein großer Erfolg – jetzt läuft Michael Lockshins Literaturverfllmung auch in Deutschland an

von Barbara Schweizerhof  30.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

 30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025