Kino

Abgetaucht im Feindesland

Einer der Schlüsselsätze in dem Spionagethriller Die Agentin (The Operative) von Yuval Adler fällt eher nebenbei. Aber er macht hellhörig und bestimmt die Absicht des ganzen Films: »Das ist Krieg.« Welcher Krieg, wird sich mancher Zuschauer erschrocken fragen, habe ich was verpasst? »Das ist nicht wie Krieg, das ist Krieg«, sagt Thomas, eine smarte Führungskraft des sagenumwobenen israelischen Geheimdienstes Mossad, ein weiteres Mal zu seiner Agentin Rachel, »und in jedem Krieg sterben Unschuldige«. Rachel soll wissen, was ihr Job ist. Nur keine Sentimentalitäten, sie wird über Leichen gehen müssen, sie ist im Krieg.

Berlinale Dieser Krieg ist keine Fiktion, und das Agentendrama, das auf der 69. Berlinale seine Weltpremiere feierte, aber dort außer Konkurrenz lief, beschreibt den hohen und moralischen Preis für ein Land, das diesen Krieg nicht will und das sich wehren muss, um zu überleben: Israel.

Dieser Krieg des Iran, der die Vernichtung und Auslöschung des jüdischen Staates fordert, weil er jüdisch ist, stößt in Europa auf eine überschaubare Betroffenheit, die Atomraketen des Mullahregimes sind schließlich nicht auf uns gerichtet, und die vom Iran ausgerüstete Hisbollah rückt auch nicht auf die bayerische Grenze zu, sondern nur auf den Golan. »Wenn es Allahs Wille ist, werde ich persönlich die Flagge der Islamischen Revolution in Jerusalem hissen«, ließ ein iranischer Brigadegeneral erst kürzlich wieder jeden wissen, der noch Zweifel an der Entschlossenheit des iranischen Regimes hegte.

»Die Agentin« beruht auf dem Buch eines früheren Mossad-Agenten.

In diesem Krieg ist Rachel (Diane Kruger) im Einsatz. Eine Agentin ohne richtigen Namen, eine Deutsche ohne Heimat, eine Frau ohne Eigenschaften, nirgends zu Hause, ohne Liebschaften, ohne Bindung. Sie spricht mehrere Sprachen fließend, nur das Hebräische holpert, aber in Teheran kann sie damit ohnehin nicht viel anfangen, im Gegenteil, schon ein unbedachtes »Schalom« könnte sie gefährden.

Yuval Adlers Thriller basiert auf dem Roman von Yiftach Atir. In Die Englischlehrerin beschreibt der ehemalige Mossad-Agent eine reale Spionageaktion, die aber so natürlich nie stattgefunden hat, sondern nur so ähnlich, wie der Autor vorsorglich erklärt. Wer aus der Herzkammer eines Geheimdienstes berichtet, muss sich absichern, Geheimnisverrat ist kein Kavaliersdelikt.

CODE Die Agentin Rachel taucht eines Tages unter. Sie verschwindet vom Radar des Mossad, der entsprechend nervös wird. Rachel verfügt über ein breites Insiderwissen, ihr Verbindungsoffizier Thomas hat sie jedes Jahr auf immer gefährlichere Missionen geschickt, jetzt soll er herausfinden, ob sie eine Bedrohung für die Organisation darstellt, während er zugleich versucht, sie zu beschützen. Ein Jahr bleibt Rachel abgeschaltet, bis sie sich bei Thomas mit einem kryptischen Anruf zurückmeldet. Ihr Vater sei gestorben. Ein Code. Damit beginnt der Film.

Die Agentin ist kein Agentenfilm im klassischen und oft genug auch öden Sinn, mit sinnentleerter Action und falschen Spuren. Er ist ziemlich verwinkelt und gelegentlich zu unübersichtlich, aber er beschreibt in einer ungeheuren Direktheit, welchen Preis ein Land zahlen muss, um nicht unterzugehen. Das ist schnörkelloses und bisweilen auch ziemlich blutiges Kino, aber nie wird infrage gestellt, ob es den Preis wert ist.

Rachel stellt sich solche Fragen nie. Sie funktioniert wie ein Uhrwerk, vielleicht ist es deshalb wichtig, dass sie aus Deutschland kommt. Für solche Einsätze braucht es ganz bestimmte Menschen mit eisernen Nerven, einer von 5000 Bewerbern kommt am Ende zum Einsatz. Der Mossad, im Film und vermutlich auch im Leben eine Ansammlung von ziemlich finsteren und skrupellosen Gestalten, könnte zufrieden sein, bis ihm seine Spitzenkraft plötzlich von der Bühne verschwindet und so gefährlich wird, dass er beschließt, Rachel auszuschalten.

CHARME Der Film arbeitet mit vielen Rückblenden, die gelegentlich zwar die Übersicht erschweren, aber die Spannung bis ins Schmerzhafte steigern. Rachel wird als Englischlehrerin nach Teheran geschickt und auf den smarten Geschäftsmann Farhad angesetzt, den sie ausspähen soll, was sie so entschieden betreibt, dass sie prompt dessen Charme verfällt und sich in ihn verliebt. Das hindert Rachel nicht daran, die Mission zu vollenden, bis sie zu neuen Einsätzen geschickt wird, die bisweilen so wirken, als wollte der Mossad sie elegant entsorgen. Aber Rachel funktioniert, schmuggelt Bomben ins Land, die der Mossad an einer belebten Kreuzung in Teheran zündet.

Gedreht wurde zum Teil an Originalschauplätzen in Teheran.

Gedreht wurde der Film an Originalschauplätzen, auch in Teheran – kein gesunder Ort für ein israelisches Filmteam, weshalb Yuval Adler mit einem über Paris engagierten iranischen Team vor Ort drehen ließ. Eine Geheimoperation in einem Geheimdienstfilm. Überwacht hat er die allesamt grandiosen Aufnahmen über sein Smartphone aus Paris, um jede Spur zu verwischen.

Situation Für Cas Anvar, der den iranischen Geschäftsmann spielt und dessen Familie aus dem Iran stammt, eine besonders bizarre Situation. Die Bilder aus Teheran hätten ihn fasziniert, das junge Leben dort, die Partys, die an den religiösen Sittenwächtern vorbei stattfinden, wo alle Schleier fallen und jeder Zwang. Er wolle dennoch nie wieder dorthin zurück, auch weil es zu gefährlich sei für ihn. »Ich habe selbst von genug Leuten gehört, die gefoltert wurden oder nie wieder aufgetaucht sind«, sagt er im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen.

Die Agentin ist ein sehr ehrlicher Film. Er beschönigt und verklärt nichts, aber er verschweigt auch nicht, dass es Situationen im Leben gibt, in denen man nicht mit sauberen Händen nach Hause kommt. Geheimdienste machen sich die Hände schmutzig. »Diese Leute tun schlechte Dinge, ja, aber sie sind nötig«, sagt Yuval Adler. Er vertraue dem Mossad wie einem Piloten, der hoffentlich immer schön sein Cockpit verriegelt hält. »Die Frage, die mich vielmehr umtreibt, ist, inwieweit ich unserer Regierung vertrauen kann.«

Ab 29. August im Kino

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