Kritische Theorie

100 Jahre Frankfurter Schule: Ein Rückblick

Menschen werden zu »ausführenden Organen«: Theodor W. Adorno Foto: dpa

Am 23. Januar jährt sich der Erlass des preußischen Kulturministers zur »Errichtung eines Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt als einer wissenschaftlichen Anstalt, die zugleich Lehrzwecken der Universität dient«, zum hundertsten Mal. Gegründet wird es im selben Jahr durch eine Stiftung des Kaufmanns und Mäzens Hermann Weil und seines Sohnes Felix Weil.

Nach den Anfängen mit einem akademischen Marxismus erhält das IfS seine schulbildende Bedeutung mit der Übernahme der Leitung 1931 durch den Sozialphilosophen Max Horkheimer (1895-1973). Der Sohn eines jüdischen Texilfabrikanten aus dem Schwäbischen macht es zur zentralen Forschungsstätte der Kritischen Theorie, die an die Arbeiten von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Karl Marx und Sigmund Freud anknüpfte.

1933 löst die Gestapo das Institut wegen »staatsfeindlicher Bestrebungen« auf. Horkheimer emigriert ein Jahr später in die USA, wo er an der Columbia University mit Hilfe amerikanischer Kollegen das IfS weiterführt. 1941 übersiedelt er an die Westküste nach Pacific Palisades. Sein engster Mitarbeiter und Freund Theodor W. Adorno folgt ihm wenig später nach.

Wiedererrichtung 1951 wird das IfS an seinem heutigen Standort in der Senckenberganlage unter der Leitung Horkheimers wiedererrichtet. Als Hauptwerk der später so genannten »Frankfurter Schule« gilt der von Horkheimer und Adorno 1944 bis 1947 gemeinsam verfasste Essayband »Dialektik der Aufklärung«.

Ab 1958 übernimmt Adorno die Leitung des IfS. In der Zeit der Studierendenproteste geraten die beiden Hochschullehrer ins Visier des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der ihnen vorwirft, sich in die Theorie zu flüchten, obwohl praktischer Widerstand angesagt sei. Der Protest gipfelt im April 1969 im so genannten »Busenattentat« dreier Studentinnen auf Adorno in dessen Vorlesung in der Goethe-Universität. Er ärgert sich sehr darüber und bezeichnet es später im »Spiegel« als »kalkulierten Schwachsinn«.

Nach Adornos plötzlichem Tod im Sommer 1969 übernimmt Ludwig von Friedeburg die Leitung des IfS, auf ihn folgen Axel Honneth und Ferdinand Sutterlüty (kommissarisch). Seit Juli 2021 steht Stephan Lessenich an der Spitze der Forschungsstätte. Zugleich lehrt der 1965 in Stuttgart geborene Soziologe als Professor für »Gesellschaftstheorie und Sozialforschung« an der Goethe-Universität.

Das intellektuelle Erbe der Protagonisten der Kritischen Theorie sei das größte Kapital des Instituts, sagt Stephan Lessenich.

Das intellektuelle Erbe der Protagonisten der Kritischen Theorie sei das größte Kapital des Instituts, sagt Lessenich dem Evangelischen Pressedienst. Ihre kritische Haltung zu den herrschenden Verhältnissen, ihr Verweis darauf, »dass eine andere Welt möglich ist, dass die gesellschaftlichen Zwänge, denen wir in unserem Alltag allenthalben begegnen, letztlich selbstauferlegte Zwänge sind: All das gilt auch heute noch und inspiriert auch die gegenwärtige Forschung am Institut«.

Tradition In gewissem Sinne sei die Tradition des Hauses aber auch eine Hypothek, schränkt Lessenich ein: »Die Aufgabe, die großen Fragen zu stellen, die viele gar nicht hören wollen - geschweige denn, dass sie Antworten darauf suchen würden.« Aktuell werde am IfS etwa über die Vergesellschaftung von und durch Arbeit, die Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Partizipation, die »widersprüchliche Konfiguration der Migrationsgesellschaft« oder die Dynamik der Geschlechterverhältnisse geforscht. Künftig müsse die Kritische Theorie globaler denken.

Das IfS mit seinen insgesamt 37 wissenschaftlichen und acht nicht-wissenschaftlichen Mitarbeitenden ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts und wird in seinem Grundhaushalt durch das Land Hessen und die Stadt Frankfurt finanziert. Es steht, über die Kooperationsprofessur für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung vermittelt, in enger Verbindung mit dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Uni.

Für Lessenich liegen die Vorteile dieser Konstruktion auf der Hand. Die Möglichkeit, kritische Gesellschaftstheorie und Sozialforschung auch den Frankfurter Studierenden wieder unmittelbarer nahebringen zu können, sei ein großer Gewinn für das Haus und die Universität - »und hoffentlich auch für die Studierenden selbst«.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025