Russland

»Zerstörer von Kirchen«

Vizesprecher des russischen Parlaments und bekannter Fernsehjournalist: Pjotr Tolstoi (l.) Foto: imago

Ob sich ein handfester Skandal wegen antisemitischer Äußerungen eines Spitzenpolitikers einfach per Handschlag beilegen lässt, ist fraglich. Ausgerechnet während der Gedenkwoche für die Befreiung des Todeslagers Auschwitz durch die Sowjetarmee machte der Vizesprecher des russischen Parlaments und bekannte Fernsehjournalist Pjotr Tolstoi Schlagzeilen wegen seiner unzweideutigen Beurteilung lautstarker Proteste in St. Petersburg. Dort formierte sich eine breite Bewegung gegen die jüngst verkündeten Pläne des Stadtoberhaupts, die Isaakskathedrale, Wahrzeichen der Stadt und gleichzeitig eines der staatlichen Museen mit den höchsten Besucherzahlen, der orthodoxen Kirche zu übergeben.

Auf einer Pressekonferenz bezeichnete Tolstoi die Protestierenden als Nachfahren jener, die 1917 aus den jüdischen Siedlungsgebieten »mit einer Pistole in der Hand« entsprungen seien, um »unsere Kirchen« zu zerstören. Im Russischen muss dafür das Wort »jüdisch« gar nicht erst benutzt werden: Der in der wörtlichen Übersetzung »Ansiedlungsgrenze« lautende Begriff ist eindeutig konnotiert.

Kritik In vielen Medien, aber nicht im Staatsfernsehen, wurde Tolstois Auftreten kritisiert. Boruch Gorin, Bevollmächtigter für Außenkontakte des Verbands jüdischer Gemeinden (FEOR) forderte eine Entschuldigung, Boris Wischnewskij, Abgeordneter des Stadtrats von St. Petersburg, will die Staatsanwaltschaft einschalten.

Staatsvertreter versuchten, den Vorfall zunächst herunterzuspielen. Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin sprach sich zwar streng gegen jede Form antisemitischer Rhetorik und Gefährdung des nationalen Friedens aus, wollte aber in den Worten seines Kollegen nichts dergleichen erkennen. Ähnlich reagierten verschiedene Personen des öffentlichen Lebens.

Schließlich holte Tolstoi zum Gegenschlag aus: Er diffamierte die Überschriften einiger Pressebeiträge, wonach er erklärt habe, Juden wehrten sich gegen die Übergabe der Kathedrale an die Kirche, seinerseits als antisemitisch. Premierminister Dmitrij Medwedjew beschränkte seine Antisemitismuskritik bei einer Veranstaltung im jüdischen Museum auf allgemeine Floskeln.

irritationen Mit entschuldigenden Worten gegenüber dem Vorsitzenden des FEOR, Alexander Boroda, setzte Tolstoi schließlich einen formalen Schlussstrich. Zurück bleiben Irritationen und nicht wenige Diskussionsbeiträge rechter Autoren im Internet.

Als Medienprofi dürfte Pjotr Tolstoi sich der Nachwirkungen seines antisemitischen Vorstoßes sehr wohl bewusst sein. Den jüdischen Gemeinden wiederum liegt viel an der Aufrechterhaltung möglichst störungsfreier Beziehung zur russischen Führung, und im Zweifelsfall führt dies dazu, wider besseres Wissen Kompromisse einzugehen.

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025

Militär

Name des schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk von US-Kriegsschiff gestrichen

Das nach Milk benannte Versorgungsschiff heißt jetzt »USNS Oscar V. Peterson«

 28.06.2025

Meinung

Francesca Albaneses Horrorshow

Die UN-Berichterstatterin verharmlost den Hamas-Terror und setzt die Israelis mit den Nazis gleich. Mit ihren Ansichten tourt sie nun durch die Schweiz

von Nicole Dreyfus  30.06.2025 Aktualisiert

Aufarbeitung

Brasilien entschädigt Familie von jüdischem Diktaturopfer

Vladimir Herzog gehört zusammen mit dem ehemaligen Abgeordneten Rubens Paiva zu den bekanntesten Diktaturopfern

 27.06.2025

Buenos Aires

Anschlag auf Juden in Argentinien: Prozess nach mehr als 30 Jahren

Am 18. Juli 1994 waren beim Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum AMIA 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden

 27.06.2025

USA

Die Social-Media-Bändigerin

Die pro-israelische Influencerin Montana Tucker liefert Lehrstücke der modernen Kommunikation im Akkord. Zeit, sich die junge Frau, die mit Tanzvideos berühmt wurde, genauer anzusehen

von Sophie Albers Ben Chamo  26.06.2025

Balkan

Bosnien entschuldigt sich bei Rabbinerkonferenz

Über eine Tagung der Europäischen Rabbinerkonferenz in Sarajevo kam es zum judenfeindlichen Eklat. Mit der jetzt erfolgten Entschuldigung ist der Fall indes noch nicht bereinigt

 26.06.2025