Dresscode

Wolle oder Leinen

»Du sollst kein Gewebe tragen, in dem Wolle und Leinen vermischt sind« (5. Buch Mose 22,11). Foto: Marco Limberg

Ein unscheinbares Haus, eingeklemmt zwischen einem Restaurant und einem Fotogeschäft an einer belebten Hauptstraße im Zürcher Viertel Wiedikon, wo besonders viele orthodoxe jüdische Familien leben. Seit mehr als 30 Jahren befindet sich hier einer der wenigen Schatnes-Überprüfungsorte in der Schweiz. Einen weiteren gibt es in Basel. Beide Betreiber benutzen den Begriff »Labor«.

Labor ist dabei allerdings eine etwas irreführende Bezeichnung, denn hier sitzen nicht mehrere Menschen in weißen Kitteln hinter Reagenzgläsern oder Mikroskopen, sondern es gibt nur einen einzelnen Mitarbeiter: Joel Pollach. Er ist der Betreiber des Labors und macht sozusagen Jagd auf Schatnes.

»Schatnes« bezeichnet die Kleidermischung aus Wolle und Leinen, also ein Mischgewebe, das religiöse Juden nicht tragen dürfen. Anzüge, aber auch Leinenkleider oder sogar Schals können Schatnes enthalten.

Tora Das Verbot von Schatnes findet sich an zwei Stellen in der Tora, etwa im 5. Buch Mose: »Du sollst kein Gewebe tragen, in dem Wolle und Leinen vermischt sind« (22,11).

Was genau die Gründe für das Verbot sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Stuttgarter Rebbetzin Noemi Berger schrieb 2012 dazu in der Jüdischen Allgemeinen: »Das Schatnesverbot basiert vermutlich auf dem Gedanken der Heilighaltung der je eigenen g’ttlichen Schöpfung des Menschen, der Pflanzenarten und jener Tiere, die die Grundlage für die Stoffe liefern.«

Maimonides, der Rambam (1135–1204), begründet das Verbot damit, dass der Mensch nicht zusammenfügen soll, was Gott bei der Schöpfung getrennt habe.

Labor-Betreiber Joel Pollach drückt es in einer Anzeige, die er in einer Schweizer jüdischen Zeitung aufgegeben hat, noch drastischer aus: Die jüdischen Schriftgelehrten seien der Meinung, wer Schatnes trage, dessen Gebete würden 40 Tage lang nicht erhört. Deshalb schlussfolgert Pollach: »Wir sollten kein Risiko eingehen und unsere Kleider lieber einmal zu viel auf Schatnes kontrollieren lassen«. Besonders vor Pessach haben das auch sehr viele zumeist Orthodoxe aus dem jüdischen Zürich und Umgebung getan. Das hat damit zu tun, dass in der Omerzeit zwischen Pessach und Schawuot (bei einigen nur bis Lag BaOmer, dem 33. Tag des Omer-Zählens) keine Kleidungsstücke eingekauft und neu getragen werden dürfen, denn diese Wochen gelten als Trauerzeit.

Purim »Wohl auch aus diesem Grund beginnt die Nachfrage nach meinem Service bereits vor Purim zu steigen«, berichtet Pollach. In den Tagen und Wochen vor Pessach musste er gar Überstunden machen. Er führt die Kontrollen selbst durch, Hilfe hat er im Normalfall nicht, nur manchmal unterstützt ihn jemand aus der Familie. Um zu überprüfen, ob ein Kleidungsstück aus Mischgewebe besteht, muss er es an den entsprechenden Stellen auftrennen und genau untersuchen.

Von Vorteil für Pollach ist, dass er früher einmal eine Ausbildung zum Kürschner gemacht hat. Auch wenn er den Beruf heute nicht mehr ausübt, weiß er doch, wie man mit Kleidung umgeht: »Ich kann daher schnell arbeiten. Im Normalfall bin ich nach einer Stunde fertig, das heißt, ich habe, falls tatsächlich Mischgewebe enthalten war, einen der beiden Stoffe herausgenommen.«

Neben Pessach sei auch vor den Feiertagen im Herbst der Andrang groß, berichtet Pollach. Da er das Labor nebenberuflich und nur an bestimmten Abenden betreibt, würden oft schon mehrere Kunden auf Einlass warten, wenn er den Raum aufschließt. »Das zeigt mir, dass wir einen wichtigen Stellenwert im jüdischen Zürich haben.«

Kundschaft Allerdings bekomme er zu spüren, dass man auch in streng orthodoxen Kreisen der Stadt immer häufiger zur Schatnes-Prüfung nach Israel reist. »Viele Charedim, die hier leben, kaufen bei diesen Besuchen ihre Kleidung für die Feiertage und den Alltag in Geschäften, die die Ware bereits auf Schatnes geprüft haben.« Diese Kundschaft falle weg, sagt Pollach.

Dennoch würden genügend Aufträge für ihn übrig bleiben. Allerdings: Pollach sieht seine Arbeit im Labor mindestens ebenso als Dienst an der Tora und ihren Geboten wie als Parnassa, als Verdienstmöglichkeit. Pro Kleidungsstück bleiben ihm umgerechnet etwa 30 Euro, sagt er. Für Schweizer Verhältnisse ist das ein eher bescheidener Betrag.

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025

Militär

Name des schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk von US-Kriegsschiff gestrichen

Das nach Milk benannte Versorgungsschiff heißt jetzt »USNS Oscar V. Peterson«

 28.06.2025

Meinung

Francesca Albaneses Horrorshow

Die UN-Berichterstatterin verharmlost den Hamas-Terror und setzt die Israelis mit den Nazis gleich. Mit ihren Ansichten tourt sie nun durch die Schweiz

von Nicole Dreyfus  30.06.2025 Aktualisiert

Aufarbeitung

Brasilien entschädigt Familie von jüdischem Diktaturopfer

Vladimir Herzog gehört zusammen mit dem ehemaligen Abgeordneten Rubens Paiva zu den bekanntesten Diktaturopfern

 27.06.2025

Buenos Aires

Anschlag auf Juden in Argentinien: Prozess nach mehr als 30 Jahren

Am 18. Juli 1994 waren beim Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum AMIA 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt worden

 27.06.2025

USA

Die Social-Media-Bändigerin

Die pro-israelische Influencerin Montana Tucker liefert Lehrstücke der modernen Kommunikation im Akkord. Zeit, sich die junge Frau, die mit Tanzvideos berühmt wurde, genauer anzusehen

von Sophie Albers Ben Chamo  26.06.2025

Balkan

Bosnien entschuldigt sich bei Rabbinerkonferenz

Über eine Tagung der Europäischen Rabbinerkonferenz in Sarajevo kam es zum judenfeindlichen Eklat. Mit der jetzt erfolgten Entschuldigung ist der Fall indes noch nicht bereinigt

 26.06.2025