Interview

»Wir inszenieren Geschichte«

Barbara Kirshenblatt-Gimblett Foto: Marta Kusmierz

Frau Kirshenblatt-Gimblett, Sie entwickeln mit einem Team von Spezialisten die Dauerausstellung im Museum der Geschichte der polnischen Juden. Wie lange sind Sie schon in Warschau?
Mehr als drei Jahre – dabei war ich eigentlich nur für eine Woche gekommen. Ich sollte den Masterplan für die Ausstellung begutachten, mit allen Beteiligten reden und Tipps geben. Dann gab es lange Zeit kein Geld, und die Idee drohte zu scheitern. Inzwischen wohne ich fest in Warschau.

Wie haben Sie von dem Projekt erfahren?
Im Jahr 2006 rief jemand aus Polen in der New York University an, wo ich an der Fakultät für Theaterwissenschaften lehre. Wir haben dort einen interdisziplinären Ansatz, der Theater, Tanz und Museum miteinander verbindet. Ich war sofort begeistert von der Idee und bin nach Warschau gefahren.

Was hat Sie daran so fasziniert?
Die Geschichte der polnischen Juden in Polen zu erzählen. Warschau ist der authentische Ort; das Museum steht im ehemaligen Ghetto. Außerdem bin ich Museumsfreak, meine Eltern kommen beide aus Polen, und ich bin Spezialistin für osteuropäische jüdische Kultur sowie für das Jiddische.

Zum Konzept gehört von Anfang an auch, kein Holocaust-Museum zu bauen?
Richtig. Die jüdische Geschichte Polens besteht nicht nur aus der Schoa. Der Holocaust hat tausend Jahre polnisch-jüdische Geschichte ausgelöscht. Hier lebte 1939 eine der größten jüdischen Gemeinden der Welt. Wir haben die moralische Pflicht, das Verlorene wiederzuentdecken, zu präsentieren und an künftige Generationen weiterzugeben.

Ist das die Leitidee des Museums?
Ja. Normalerweise ist die Assoziation bei den Worten »Polen« und »Juden« nur »Holocaust« und »Antisemitismus«. Aber die reiche polnisch-jüdische Kultur hätte nicht entstehen können, wenn es über tausend Jahre nur Antisemitismus gegeben hätte.

Das heißt, die Geschichte der polnischen Juden wird nicht als diejenige einer Minderheit gezeigt, sondern als Bestandteil der Geschichte Polens?
Die Geschichte dieses Landes ist ohne die Geschichte seiner Juden nicht zu verstehen. Wir wollen im Museum die Geschichte Polens aus jüdischer Perspektive zeigen.

Das gab es bislang nur in Gedenkstätten.
Genau das wollen wir aufbrechen. Die jüdische Geschichte Polens ist mehr als Ghetto, KZ und Tod. Diese neue Perspektive ist für Juden wichtig, die nach Polen kommen, um ihrer Familienangehörigen zu gedenken. Und sie ist auch wichtig für die christlichen Polen.

Der größte Feind eines jeden Museums ist die Langeweile. Wie wollen Sie die Besucher fesseln und dazu bringen, ein zweites Mal zu kommen?
Hier kommt das Theater ins Spiel. Wir inszenieren die polnisch-jüdische Geschichte in acht Galerien. Es gibt Filme, Fotos, Wandmalereien, eine nachgebaute und begehbare Synagoge, Computerspiele, Zeitzeugenberichte zum Anhören – viele Anreize, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.

Nur Geschichte?
Nein, die letzte Galerie ist nicht der Vergangenheit gewidmet, sondern den Jahren seit 1945. Zudem stellen wir im Museum viele Fragen, auf die es nicht sofort Antworten gibt. Da die Menschen von Natur aus neugierig sind, kommen sie bestimmt wieder.

Mit der New Yorker Theater- und Kulturwissenschaftlerin sprach Gabriele Lesser.

Großbritannien

Der grüne Populist

Zack Polanski ist der neue Chef der Grünen. Möglicher Partner: ausgerechnet Jeremy Corbyn

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  18.09.2025

Belgien

Grabschändung am Todestag

Das Grab des jüdischen Politikers Jean Gol in Lüttich wurde genau 30 Jahre nach seinem Tod geschändet. Gols Tochter sieht einen eindeutigen Zusammenhang zum Nahostkonflikt

 18.09.2025

USA

Angriff auf Cousin einer ermordeten Geisel

Ariel Yaakov Marciano wurde in Santa Monica angegriffen und geschlagen, weil er Hebräisch sprach

 17.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025