Reportage

Teens für Tallahassee

Zieht junge Singles und Familien an: der US-Bundesstaat Florida Foto: Getty Images

Von den rund sieben Millionen amerikanischen Juden lebt beinahe ein Zehntel im Sonnenstaat Florida: Genau 629.120 waren es im Jahr 2018. Das wiederum sind glatte drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil der Juden an der Bevölkerung bei etwa 0,25 Prozent, der Durchschnitt in den Vereinigten Staaten beträgt 2,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Damit gehört Florida zu den sieben bevölkerungsreichsten Staaten, was Juden anbelangt.

Bisher hat man das eher dem warmen Klima zugeschrieben, zumal die Zahl der jüdischen Einwohner im Winterhalbjahr regelmäßig zunimmt. Dann kommen die sogenannten Snowbirds in Scharen aus den nördlicheren Bundesstaaten, um der kalten Jahreszeit zu entfliehen und die Tage lieber unter Palmen zu verbringen. Florida gilt deshalb nach wie vor als eher überalterter Staat. Doch was ist eigentlich mit den jungen Juden zwischen der Hauptstadt Tallahassee und Miami Beach?

South Palm Beach County, nördlich von Miami: Obwohl Senioren immer noch einen Großteil der Juden in dem beliebten Bezirk am Atlantik ausmachen, hat eine Studie einen erstaunlichen Anstieg bei einem anderen Bevölkerungsanteil ergeben: bei Kindern. Deren Anzahl in Boca Raton, Delray Beach und Highland Beach stieg von 11.000 im Jahr 2005 auf 17.300 Ende 2018 – eine Steigerung von 57 Prozent, wie die jüngste Untersuchung im Auftrag der Jewish Federation of South Palm Beach County ergab.

UMFRAGEN Mehr als 2000 jüdische Haushalte beantworteten Fragen über ihre Familien, ihre Gemeindezugehörigkeiten und ihre Bindung zu Israel, wie die Zeitung »South Florida Sun Sentinel« berichtete. Die Gesamtanzahl jüdischer Bewohner stieg auf 134.200 an – ein Plus von drei Prozent gegenüber der letzten Erhebung aus dem Jahr 2005. Interessant ist auch, wie sich die religiösen Bekenntnisse verteilen, die ja deutlich vielschichtiger sind als in Deutschland. Demnach zählten sich 37 Prozent der Befragten zum Reformjudentum, als konservativ schätzten sich 25 Prozent ein, als orthodox acht Prozent. Rund 30 Prozent sahen sich als säkular beziehungsweise »nur jüdisch«.

Neuerdings kommen weniger ältere Juden nach Florida, um dort zu überwintern.

»Die jüdische Bevölkerung hat sich gewandelt«, sagt Leonard Saxe, Direktor des Cohen Center for Modern Jewish Studies an der Brandeis University, die die Studie erstellt hat. »Wir sehen einen starken Anstieg bei den Kindern. Gleichzeitig hat die Zahl der ›Snowbirds‹ abgenommen – sie werden zusehends durch junge Familien mit Kindern ersetzt.«

Im Jahr 2014 zählte die Greater Miami Jewish Federation 123.200 Mitglieder im benachbarten Bezirk Miami-Dade – ein Anstieg von zehn Prozent binnen zehn Jahren!

Südosten Eine Umfrage der Jewish Federation of Broward County, dem dritten Bezirk im bevölkerungsreichen Südosten Floridas, zählte im Jahr 2016 hingegen 149.000 jüdische Einwohner – ein dramatischer Schwund im Vergleich zu den 243.000 Einwohnern 1997.

Diese Abnahme allerdings lag an der Sterberate im alten Bevölkerunsgssegment. 1997 lebten noch 123.500 Juden in Broward, die älter als 65 waren – 2016 waren es nur noch 46.000.

Saxe erläutert, die Abnahme der Einwohnerzahl liege auch daran, dass die Babyboomer-Generation andere Wohngegenden für ih­ren Ruhestand bevorzuge. »Wir beobachten eine Bewegung Richtung Norden und Westen zu Orten wie Naples, Orlando und anderen Gemeinden in Florida.«

Deshalb sind – nicht nur für den Süden Floridas – Organisationen wie »NextGen Palm Beaches« so wichtig geworden. Auf der Website jewishpb.org wirbt die Plattform, die Teil der Jewish Federation von Palm Beach ist, in etwas blumiger Sprache: »Du gehörst hierher. NextGen ist deine Verbindung zu allem, was jung und jüdisch ist in unserer Gegend. Ob du jüdisch bist, ›nur jüdisch‹, oder irgendwie jüdisch (›Jewish-ish‹): Wir wollen, dass du den Sinn, die Verbindungen ... entdeckst, die jede Facette deines Lebens bereichern.«

Dahinter verbirgt sich ein Netzwerk von 20- bis 40-jährigen Juden, das sie »in die Lage versetzen soll, ihre jüdische Identität durch persönliche Kontakte, berufliche Verbindungen und Philanthropie zu entwickeln«. NextGen richtet sich an Frauen, Männer und auch junge Familien und ruft neben dem professionellen Netzwerken vor allem zu sozialem Engagement auf.

»Wir haben die Nase so voll von diesem ›Faule Millenials‹-Label«, lautet die Botschaft. Und so vernetzen sich junge Juden wie etwa der Geschäftsimmobilienmakler Justin Paul, der Vorsitzende von NextGen, sowohl beruflich als eben auch sozial. NextGen bietet etwa Reisen nach Israel an, vermittelt aber auch ehrenamtliche Arbeit in Entwicklungsländern. Die Zusammenarbeit mit Organisationen wie ProjectTen oder Birthright Israel ermöglicht es den jungen Machern von Palm Beach zudem, nationale und internationale Verbindungen zu knüpfen.

gemeinschaft Gleiches gilt für die Westküste Floridas. Die Jewish Federations of Pinellas and Pasco County, die den Großraum Tampa Bay rund um Floridas zweitgrößte Metropole Tampa abdecken, haben gemeinsam das »Jewish Leadership Training Institute« (JLTI) ins Leben gerufen.

Dessen Ziel ist es, »die wichtigsten jungen jüdischen Menschen der Gemeinschaft mit Führungspotenzial zu entdecken, zu motivieren, auszubilden und vorzubereiten, Leitungsaufgaben innerhalb der jüdischen Gemeinschaft von Tampa Bay zu übernehmen«, wie es im Mission Statement heißt. »Unser Ziel dabei ist es, ein neues Fundament für eine einige und blühende jüdische Gemeinschaft zu schaffen.«

Die »Young Adult Division« der Federation sorgt aber nicht nur für Ausbildung und Business-Networking, auch Jüdischkeit und Spaß kommen bei dem Versuch, die junge Generation an jüdische Institutionen zu binden, nicht zu kurz. Deshalb fehlen Bier- und Weinproben ebensowenig wie das gemeinsame Schauen von Baseball-Matches des lokalen Teams »Tampa Bay Rays«.

BINDUNGEN All das führt zu »community building«, das Schaffen eines Gemeinschafts-, eines Zugehörigkeitsgefühls, das gleichzeitig die Bindungen innerhalb der einzelnen Gemeinschaften fördert und die jüdische Identität – unabhängig von der individuellen Ausrichtung – stärkt.

Vor allem die Zahl der Kinder auf der Halbinsel nimmt seit einigen Jahren deutlich zu.

Das möchte auch jyp2030.com, ein Zusammenschluss von »Young Jewish Professionals« im Alter von 20 bis 30 Jahren, deren Internetadresse nicht ungeschickt zukunftsorientiert auf das Jahr 2030 verweist.

Zwar hat der Verbund eine Website, fordert dort aber ganz plakativ dazu auf, »heraus aus dem Netz zu gehen« und gleichgesinnte junge Juden in der Umgebung zu treffen. Rund 7000 Menschen zwischen 20 und 30 machen bei JYP bereits mit – raus aus dem Netz, hin zur Happy Hour, zum Bowlen oder zum Kneipenquiz: Die neue jüdische Generation in Florida entdeckt verschüttet geglaubte Freizeitbeschäftigungen.

Winter Das junge jüdische Leben im Sunshine State stärken, das möchten auch Jonah Zinn und Orrin Krublit, zwei Rabbiner aus St. Louis im Staat Missouri, einem jener Bundesstaaten, deren Bewohner es im Winter nach Florida zieht. Die beiden Männer sind vor wenigen Tagen in Florida eingetroffen – und sie wollen bleiben.

Zinn ist 37 Jahre alt, Krublit 32. Beide kehren zu ihren Wurzeln zurück. Zinn, der vor seiner Arbeit in St. Louis vier Jahre als Executive Director von Hillel an der University of Virginia arbeitete, wird nun Executive Director von Hillel an der University of Florida Hillel in Gainsville.

Krublit hingegen wuchs in Orlando auf, kommt nun zurück und wird neuer Rabbiner der Southwest Orlando Jewish Congregation. Beide junge Rabbiner, die 2014 in St. Louis mit ihrer Arbeit begannen, äußerten sich auf der Newsseite »STL Jewish Light« dazu, was sie nach Florida führt.

Jonah Zinn hatte eigentlich gar nicht nach einer neuen Aufgabe gesucht, »aber die Arbeit für Hillel war immer schon eine Leidenschaft von mir«.

Hillel ist die weltweit größte universitätsgebundene Studentenorganisation. Sie wurde 1923 an der Universität von Illinois mit dem Ziel gegründet, »das jüdische Leben ihrer Mitglieder zu bereichern«. Die Organisation ist hauptsächlich in den USA, Kanada, Osteuropa und Israel vertreten.

Studenten »Als man mich fragte, ob ich der Executive Director bei Hillel Gainesville werden wollte, war ich begeistert. Denn das bietet mir die Möglichkeit, meine eigene persönliche Leidenschaft, die Arbeit mit Studenten, mit der Aufgabe zu verbinden, junge Leute in einer entscheidenden Situation ihres Lebens zu begleiten, ihnen zu helfen, sich zu finden, und dazu beizutragen, dass sie unsere Traditionen und den Reichtum jüdischen Lebens annehmen und weitertragen.«

Zahlreiche jüdische Initiativen versuchen, junge Menschen zu vernetzen.

Für Krublik ist der Weg nach Süden, wie er sagt, eine Art »Rückkehr nach Hause«. Allerdings sei die Gemeinde, in der er amtieren werde, nicht dort, wo er aufgewachsen ist, sondern am anderen Ende der Stadt. »Die Gemeinde, in der ich arbeiten werde, ist eine ganz junge Gemeinde.« Dies sei »eine wirklich aufregende Erfahrung« für ihn, sagt er.

Familien Die Synagogengemeinde besteht nur aus 180 Familien, mehr als die Hälfte der Mitglieder sind unter 45 Jahre alt, und an der Religionsschule lernen 80 Kinder. »Das sind fantastische Zahlen«, sagt Krublik. »Und als wir im Januar die Synagoge besuchten, war es so herzlich und warmherzig dort. Ich hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen – in mehrfacher Hinsicht.«

Statt älterer Snowbirds kommen heute also junge Rabbiner nach Florida, um sich um die Belange junger Gemeindemitglieder zu kümmern – überraschende Nachrichten aus dem vormaligen Rentnerparadies.

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025