USA

Sorge um die Sicherheit

Am Mittwoch vergangener Woche in Washington: Bekennende Neonazis, Schoa-Leugner und junge Rechtsradikale stürmen nach einer Rede von Donald Trump das Parlamentsgebäude. Foto: REUTERS/Leah Millis

Es war eine krude Mischung, die sich am Mittwoch vergangener Woche mit Gewalt den Weg ins Kapitol bahnte: Bekennende Neonazis und Holocaustleugner marschierten und prügelten Seite an Seite mit den »Proud Boys«, jener straff organisierten Truppe junger Rechtsradikaler, die sich laut Donald Trumps berüchtigtem Statement aus dem Vorjahr hatten »bereithalten« sollen.

Ein inzwischen bekannt gewordenes Video zeigt eine besondere Szene in diesem Mahlstrom aus neonazistischer Gesinnung und Gewalt: ein Afroamerikaner und ein offensichtlich orthodoxer Jude (seine Zizit sind deutlich zu erkennen) beim Sturm aufs Kapitol.

mob Die beiden Männer wirken eher wie Teilnehmer einer Museumsführung, doch erschüttert die Szene, weil sie zwei Menschen zeigt, die dem restlichen Mob von QAnon-Anhängern und »Camp Auschwitz«-T-Shirt-Trägern so gar nicht entsprechen.

Dies führt vor Augen, wie divers die Schar derer ist, die dem Ruf des scheidenden Präsidenten zum Sturm aufs Kapitol folgten. Es ist ein Bild, das amerikanische Juden, die das Ausmaß rechter Gewalt ohnehin schon als unerträglich empfanden, doppelt erschüttert: einer von ihnen inmitten eines Mobs aus Neonazis und Verschwörungsanhängern.

Jüdische Organisationen in der unmittelbaren Umgebung des Kapitols sorgten sich um die Sicherheit ihrer Gemeinden und Synagogen.

Nachdem Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser als Reaktion auf den Angriff auf das amerikanische Parlament eine 36-stündige Ausgangssperre verhängt hatte, sagte Rabbi Hyim Shafner seinen Abendgottesdienst ab. Dieser hatte wegen Corona immer vor der Kesher Israel Orthodox Synagogue stattgefunden und nicht im Inneren des Gebäudes.

absage Die Absage des Gebets sei eine Sicherheitsmaßnahme gewesen, so Shafner im Gespräch mit der »Times of Israel«. Denn die Viertel Georgetown sowie Foggy Bottom und Dupont Circle, wo viele Gemeindemitglieder leben, seien »eine andere Welt«, obwohl sie nur rund einen Kilometer vom Weißen Haus entfernt liegen.

Aber natürlich konnte Rabbi Shafner seine Gemeinde an diesem Tag nicht allein lassen. In einer E-Mail an die Mitglieder wies er auf den Wochenabschnitt der Tora hin, bei dem es um die Versklavung der Juden in Ägypten ging, die dem Pharao zu mächtig geworden waren.

Sein Glaube an die Sicherheit des Landes, speziell die Sicherheit jüdischer Bürger, sei an jenem Tag erschüttert worden, sagte er. »Ich sehe das Kapitol, sehe, wie Menschen die Scheiben einschlagen, hineinklettern und sich in den Abgeordnetensesseln lümmeln – mit den Füßen auf dem Schreibtisch.

Das hatte etwas ungeheuer Verstörendes, und ich nehme an, das ging vielen Amerikanern so.« Als Jude müsste man das Ganze allerdings auch »in einem anderen Licht sehen«, sagt Shafner: »Vielleicht ist der Boden unter unseren Füßen ja doch nicht so stabil, wie wir bisher annahmen.«

LAUFFEUER Jüdische Organisationen in der unmittelbaren Umgebung des Kapitols sorgten sich um die Sicherheit ihrer Gemeinden und Synagogen. Die Rabbiner Aaron Alexander und Lauren Holtzblatt von der Adas Israel Congregation gingen bereits um 17 Uhr live auf Facebook, nachdem sich die Bilder von der Erstürmung wie ein Lauffeuer verbreitet hatten.

Inzwischen steht die Glaubwürdigkeit jüdischer Trump-Anhänger auf dem Spiel.

»Leider haben wir in den vergangenen zehn Corona-Monaten schon eine ordentliche Routine bei Livesendungen entwickelt«, sagte Rabbinerin Holtzblatt den Hunderten Gemeindemitgliedern, die der Übertragung folgten. Viele von ihnen hatten Angst, dass die Gewalt vom Kapitol auf die Gemeinden überspringen würde. »Unsere erste Reaktion war: Lass uns sofort live gehen«, sagte Rabbi Alexander der Jewish Telegraphic Agency (JTA), »damit die Leute nicht nur unsere Worte lesen, sondern unsere Gesichter sehen können.«

»Wir halten alle den Atem an«, sagte Alexander in der Facebook-Live-Übertragung. »Einige der Gewalttäter werden die Stadt verlassen haben, andere werden sich weigern, die Gegend um das Kapitol zu verlassen – und wieder andere werden einfach zurück in ihre Hotels gehen.«

Rabbi Alexanders Kollegin Lauren Holtzblatt schrieb in einer E-Mail an JTA, ihre Gemeinde sei »sehr besorgt« über das, was am Kapitol geschah. Sie bete für eine friedliche Machtübergabe. Andere Rabbiner in der Umgebung reagierten ähnlich. Die Synagoge in Falls Church, Virginia, jenseits der Stadtgrenze, hielt eine virtuelle »Versammlung für die Demokratie« ab.

GEWALT Ein noch größeres Problem mit dem Gewaltexzess von Washington haben jedoch die bisherigen jüdischen Parteigänger und Förderer Trumps – steht doch ihre politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Ihre überwiegenden Reaktionen waren deutlich: Trump müsse die republikanische Bühne komplett verlassen, um den Wiederaufbau der Partei zu ermöglichen, hieß es.

Matt Brooks, Geschäftsführer der Repu­blican Jewish Coalition (RJC), sagte am Montag in einem Fernsehinterview, es würden seiner Partei »eine Menge Gewissens­prüfungen, Analysen und Diskussionen bevorstehen, wohin die Reise für die Republikaner in den kommenden Monaten gehen wird«. Die RJC werde jedenfalls »eine wichtige Rolle in diesen Debatten spielen«, so Brooks mit Blick auf die sogenannten Midterm-Wahlen zur Halbzeit der Legislatur 2022.

Den Sturm aufs Kapitol nannte Brooks »einen der schwärzesten Tage der amerikanischen Geschichte«. Er werfe einen »Schatten auf die Erfolge der Republikaner bei den Wahlen im November«, die die Partei trotz der Niederlage gegen Joe Biden und dem Verlust der Senatsmehrheit durchaus errungen habe.

schatten Beobachter glauben, dass dieser Schatten wohl noch länger über der zutiefst erschütterten Partei liegen wird. Künftig werde man auch die jüdischen Trump-Anhänger der Republikaner für jedes neue Aufflammen antisemitischer Gewalt in politische Haftung nehmen.

Dafür scheint es Anlass genug zu geben: Das FBI warnt, dass in allen 50 Hauptstädten amerikanischer Bundesstaaten sowie in Washington D.C. in den Tagen vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten Joe Biden mit bewaffneten Protesten und weiterem Blutvergießen zu rechnen ist.

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