Grossbritannien

Soap mit Mamme

Ob Strictly Kosher, Friday Night Dinner oder Jewish Mum of the Year: Im britischen Fernsehen haben jüdische Themen Hochkonjunktur. Foto: Frank Albinus

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Soap mit Mamme

Immer mehr Fernsehsendungen zeigen jüdisches Leben – nicht allen gefällt das

von Frank Diebel  14.01.2013 19:03 Uhr

Lange führten Juden in der britischen Presse und im Fernsehen ein Schattendasein. Sie wollten keine Aufmerksamkeit erregen, kamen in den Medien kaum vor. Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit ein paar Jahren ergießt sich eine Flut von »jüdischen« Fernsehbeiträgen über das Inselkönigreich, darunter Comedy-Shows, Dokumentationen und Reality TV. So gewaltig ist die jüdische Welle im britischen Fernsehen, dass in den Gemeinden die ersten kritischen Stimmen laut werden.

Auslöser dieser Welle waren unter anderem die beiden Sitcoms Friday Night Dinner (Premiere 2011) und Grandma’s House (Premiere 2010), die sich beim Fernsehpublikum so großer Beliebheit erfreuten, dass weitere Staffeln ausgestrahlt wurden. Neben Schmunzelware flimmern auch die Dokumentationen The Jews sowie Two Jews on a Cruise, Strictly Kosher, Jews at Ten und die Reality-Show Jewish Mum of the Year über die Bildschirme. Noch nie waren Juden im britischen Fernsehen so präsent.

minderheit Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen zum Teil einige Jahrzehnte zurück. Mit der zunehmenden Immigration von Bewohnern aus den ehemaligen britischen Kolonien in den 60er- und 70er-Jahren richtete sich die Aufmerksamkeit der Bevölkerung verstärkt auf die Neuankömmlinge.

Die Juden gingen sozusagen in der Masse unter, allein schon deshalb, weil sie sich in ihrer Hautfarbe nicht von der Mehrheit der Briten unterschieden. Britische Politiker reagierten auf den Zustrom von Einwanderern und versuchten, mit dem »Race Relations Act« von 1976 eine politische Grundlage für die Integration der neuen Minderheiten zu schaffen und der steigenden Diskriminierung Einhalt zu gebieten. Davon profitierten auch die jüdischen Bürger Großbritanniens.

Die »Eiserne Lady« Margaret Thatcher leistete in den 80er-Jahren ebenfalls einen großen Beitrag zur wachsenden Integration, indem sie jüdische Politiker in ihr Kabinett berief, wie Keith Joseph, Malcolm Rifkind und Nigel Lawson. Die Weichen für eine stärkere Annäherung der jüdischen Gemeinschaft waren somit gestellt.

Die jüngere Generation wusste dieses tolerantere gesellschaftliche Klima sehr wohl für sich zu nutzen und hielt mit ihren Talenten nicht mehr hinter dem Berg. Jüdische Talente tummeln sich jetzt überall im gesellschaftlichen Leben Großbritanniens, sei es in Film und Theater (Sacha Baron Cohen und Alan Rickman), Fernsehen (David Baddiel und Claudia Winkleman) und Literatur (Naomi Alderman und Charlotte Mendelssohn) – um nur einige zu nennen.

Klischees Natürlich sind solche Sendungen auch immer eine Gratwanderung und können leicht in Kitsch, Diffamierung oder gar Rassismus abgleiten, denn es werden viele typisch jüdische Klischees, wie zum Beispiel die jiddische Mamme, dafür verbraten. Und das schmeckt nicht allen.

»Ich kann mich nicht entscheiden«, schimpft der jüdisch-britische Autor Simon Kelner, ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung The Independent, »ob meine Antipathie gegenüber Jewish Mum of the Year daher rührt, dass die Sendung an Rassismus grenzt oder weil sie absoluter Müll ist.«

Times-Kolumnist A. A. Gill schlägt in die gleiche Kerbe. Die Mütter in dieser Sendung, schreibt er, »erfüllen jedes einzelne Cartoon-Vorturteil und jeden rassistischen Gemeinplatz«. Das Fernsehen sei vollgepackt mit kulturellen und religiösen Stereotypen. »Aber es ist eine Sache, Amerikaner oder die englische Oberklasse zu veralbern, und eine ganz andere, Stereotype von Roma und Juden zu bestätigen«, so Gill. Hier werde nicht mit jemandem, sondern über jemanden gelacht. »Ich will mit dieser Art von Späßen nichts zu tun haben.«

bedenken Nicht alle britischen Juden teilen Gills Bedenken. Der Kulturkommentator und Radiomoderator Norman Lebrecht nimmt solche Sendungen nicht allzu ernst. Er ist keineswegs der Ansicht, dass britische Fernsehproduzenten Juden auf dem Kieker hätten, und glaubt, die Darstellung sei nicht schlimmer als die von Italo-Amerikanern in Die Sopranos. Dazu muss allerdings erwähnt werden, dass italienischstämmige Gruppen in den USA mit Fernsehserien wie den Sopranos nicht glücklich sind.

Lebrecht ist weiterhin der Ansicht, dass »diskrete Gemeinschaften immer von der Allgemeinheit beobachtet werden, und was die in ihnen sieht, das mag unbequem sein«. Vor Kurzem seien auch einige Fernsehbeiträge über die Amisch gezeigt worden, »und die waren vermutlich auch nicht reflektierter«, so Lebrecht.

Der Moderator ist der Ansicht, dass Juden in letzter Zeit oft Gegenstand des Fernsehprogramms sind, weil für sie die Zeit reif ist »zum Auseinandernehmen durch diese Form der sich bewegenden Tapete, die man auch Reality TV nennt«.

Wettbewerb Begeistert von dem Trend, im Fernsehen Jüdisches zu thematisieren, zeigt sich Richard Ferrer, Chefredakteur der Londoner Jewish News. In seiner kostenlosen Zeitung war der Wettbewerb »Jewish Mum of the Year« ausgeschrieben worden, bevor der Fernsehsender Channel 4 dann daraus eine Serie machte. »Endlich gibt es eine Sendung, in der es nicht um schwarze Hüte, Bärte, Lulaws und Etrogs, sondern um Frauen geht, die mit beiden Beinen im Leben stehen und ihre Kinder großziehen«, jubelt er, »und das Ganze wird untermauert vom Epizentrum ihres Lebens: dem Judentum.«

Ferrer hat beobachtet, dass die Sendungen beim Publikum zum Teil auf ein sehr großes Echo stießen. Er habe bereits Dutzende von positiven Briefen bekommen.

Ein Ende der jüdischen Programmwelle ist noch nicht abzusehen, denn die Macher von Strictly Kosher bereiten gerade eine neue Sendung vor, die sich um einen Party-Service für Hochzeiten und Barmizwa-Feiern drehen soll. Na dann: Masel Tov!

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