Polen

Schweigen als Geste

Papst Franziskus betritt das Stammlager Auschwitz. Foto: dpa

In Schweigen, stillem Gebet und – so Gott mir die Gnade der Tränen gibt – weinend», so wollte Papst Franziskus (79) Auschwitz begegnen. Schon Wochen vor seiner Reise zum katholischen Weltjugendtag in Krakau hatte er klargemacht, wie er sich seinen Besuch in den Nazi-Konzentrations- und Vernichtungslagern Auschwitz und Auschwitz-Birkenau vorstellte, der dann am vergangenen Freitag stattfand. Und von diesem Plan rückte er auch nicht ab.

So saß Franziskus allein zwischen den Blöcken im früheren Stammlager, in stillem Gebet versunken. Was ihm in diesen rund 20 Minuten durch den Kopf ging, das wird er später vielleicht seinem Freund aus Buenos Aires sagen, dem Rabbiner Abraham Skorka. Doch in Auschwitz schwieg er.

Gegenbeispiel Damit setzte sich der Papst klar von seinen beiden Vorgängern ab. Der aus Polen stammende Papst Johannes Paul II. hatte 1979 in Auschwitz-Birkenau, dem größten jüdischen Friedhof weltweit, eine heilige katholische Messe mit Zehntausenden Katholiken gefeiert. Papst Benedikt XVI. aus Deutschland hingegen stellte in seiner Gedenkrede 2006 die Deutschen zu sehr als «von den Nationalsozialisten Verführte» dar und klagte Gott an, angesichts von millionenfachem Leid und Tod «geschwiegen» zu haben. Beide Auftritte waren gut gemeint, aber unangemessen.

Doch in Stille oder gar allein durch das Tor mit der Aufschrift «Arbeit macht frei» zu gehen oder durch das Tor zum Vernichtungslager Birkenau entlang der Schienen und der berüchtigten Rampe hin bis zu den Gaskammer-Ruinen – das ist im Medienzeitalter schier unmöglich. Überall laufen Sicherheitskräfte, Bodyguards, Polizisten und Fotografen herum.

Dennoch gelang es dem Oberhaupt der Katholischen Kirche mit seinen stummen Gesten, den langsamen Schritten und den stillen Gebeten die Pilger vor Ort und die Zuschauer vor den Fernsehern am «Schweigen angesichts des Grauens in Birkenau» teilhaben zu lassen.

Pilger Dazu gehörte auch, dass die vielen jungen Leute – nach offiziellen Angaben waren es rund 300.000 – hinter Absperrungen warten mussten. Erst nachdem der Papst mit Auschwitz-Überlebenden ein paar persönliche Worte gewechselt und den «Gerechten unter den Völkern» dafür gedankt hatte, dass sie im Zweiten Weltkrieg jüdische Nachbarn und Freunde gerettet hatten, durften die katholischen Pilger die Gedenkstätte besuchen.

Dies galt auch für die über 1000 Politiker und anderen Gäste, die auf ein Grußwort und den Segen des Papstes warteten. Doch vergeblich. Der Papst tat so, als bemerke er die vielen VIPs nicht, schritt die lange Reihe der Gedenkplatten ab, las die Inschriften, hörte sich das Kaddisch an, das Polens Oberrabbiner Michael Schudrich sagte, betete selbst einige Minuten vor dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas und trat schweigend den Rückweg an.

Worte Am Abend aber, vom Fenster des Krakauer Bischofspalastes aus, richtete er seine Worte nicht nur an die versammelten jungen Leute, sondern an die Weltgemeinschaft. «Die Grausamkeit hat mit Auschwitz und Birkenau nicht aufgehört», sagte er. «Heute passieren ganz ähnliche Dinge in vielen Teilen der Welt, in denen Krieg herrscht.» Es sei gut, für die Kriegs- und Folteropfer zu beten, für die Häftlinge, die «wie Tiere» in übervollen Gefängnissen vegetieren müssten, und für Millionen Flüchtlinge, die Zuflucht vor Krieg und Tod suchten. Noch besser sei es, ihnen direkt zu helfen.

Am Sonntag, kurz vor Ende des Weltjugendtages, erhielt Franziskus noch zwei ungewöhnliche Geschenke: Jonathan Ornstein vom Jewish Community Center in Krakau hatte für das Oberhaupt der katholischen Kirche ein grünes T-Shirt mit dem JCC-Logo vorbereitet und eine JCC-VIP-Mitgliedskarte. Man wollte dem Papst auch das lebendige jüdische Leben in Polen etwas näherbringen: Er sollte nicht mit dem alleinigen Bild von Auschwitz-Birkenau in den Vatikan zurückkehren.

Meinung

Juden zweiter Klasse

Giurim: Dürfen künftig nur noch Juden einwandern, die dem israelischen Innenministerium orthodox genug sind?

von Nicole Dreyfus  27.09.2023

USA

JPMorgan Chase zahlt Millionen wegen Epstein-Vorwürfen

Die US-amerkanische Bank hat sich zur Zahlung von 75 Millionen Dollar bereit erklärt. Sie habe Sexualstraftaten von Jeffrey Epstein ermöglicht

 27.09.2023

USA

Mann mit Menschenkenntnis

Nach der Biografie von Steve Jobs erzählt der Journalist Walter Isaacson nun die Lebensgeschichte des Businessmoguls Elon Musk

von Dana Wüstemann  26.09.2023

Australien

An Jom Kippur: NS-Graffiti-Schmierereien in Sydney

Die Täter hätten Angst schüren wollen, so die jüdische Organisation ECAJ

 25.09.2023

Kontroverse

Adidas-Chef entschuldigt sich für sein Lob eines Antisemiten

Björn Gulden hatte Kanye West (Ye) trotz dessen judenfeindlicher Ausfälle in Schutz genommen

 22.09.2023

USA

Taschlich retour

In Kalifornien sammeln jüdische Umweltaktivisten am Strand Müll – aus religiöser Überzeugung

von Jessica Donath  22.09.2023

Debatte

Auschwitz-Komitee kritisiert Adidas-Chef: »Unerträglich und zynisch«

Konzern-Chef Björn Gulden hatte Kanye West zuvor in einem Podcast verteidigt

 21.09.2023

Fußball

Tottenham-Boss: Haben Rückkaufrecht für Harry Kane

Der Wechsel des Torjägers zum FC Bayern ist für den Club eine offene Wunde

 21.09.2023

Großbritannien

Sie nannte sich Steve

Zum 90. Geburtstag von Dame Stephanie Shirley

von Christoph Meyer  21.09.2023