Russland

Ostpreußische Erbschaft

Kaliningrader Gemeinde will in wiedererrichteter Synagoge die Geschichte der Königsberger Juden dokumentieren

von Gabriele Lesser  10.11.2021 12:01 Uhr

2018 wiedereröffnet: Synagoge Kaliningrad Foto: Michael Leiserowitz

Kaliningrader Gemeinde will in wiedererrichteter Synagoge die Geschichte der Königsberger Juden dokumentieren

von Gabriele Lesser  10.11.2021 12:01 Uhr

Bis 1945 war Königsberg die östlichste Großstadt Deutschlands. Nur wenige Königsberger Juden überlebten Naziterror und Schoa und danach die Sowjetisierung der Stadt. Glück hatte, wer rechtzeitig auswandern konnte. Mit der Roten Armee kamen erneut Juden aus Russland, der Ukraine, Belarus und anderen Staaten der Sowjetunion in die Hafenstadt, die nun Kaliningrad hieß und mitsamt dem »Oblast Kaliningrad« als russische Exklave zwischen Litauen, Polen und der Ostsee liegt.

Die Kaliningrader Juden – inzwischen sind es rund 2000 – entschlossen sich, die Nachfolge der deutsch-jüdischen Gemeinde von Königsberg anzutreten. 2018 hielten sie den ersten Gottesdienst in der aus eigenen Kräften wiederaufgebauten Neuen Liberalen Synagoge ab. Jetzt soll die Geschichte der Königsberger und Kaliningrader Juden im zweiten Stock der Synagoge dokumentiert werden. Dort war während des Krieges bis 1942 die jüdische Schule untergebracht.

ausstellung »Die Arbeiten laufen auf Hochtouren«, sagt Ruth Leiserowitz vom deutschen Verein »Juden in Ostpreußen«. Sie ist erst kürzlich wieder in Kaliningrad gewesen, wo sie mit allen Beteiligten weitere Details der geplanten Ausstellung diskutiert hat. »Während die Konzeption für den Königsberg-Saal schon steht, müssen wir bei der Gestaltung des Kaliningrad-Saales noch klären, wer dort unsere Helden und Heldinnen sein sollen.«

Ruth Leiserowitz’ Ehemann Michael nickt. »Wir haben den Wiederaufbau der Neuen Synagoge unterstützt, die alten Baupläne aus Archiven besorgt und eine erste Ausstellung erarbeitet. Der Andrang im Historischen Museum der Stadt war enorm!«

Das Ehepaar lebt seit 2010 in Warschau. Ruth Leiserowitz arbeitet dort als Geschichtsprofessorin und stellvertretende Direktorin des Deutschen Historischen Instituts, ihr Mann als Mitarbeiter des jüdischen Geschichtsmuseums POLIN.

familiengeschichte Während er als Kind in Frankfurt am Main immer wieder die Geschichten seines Vaters aus dem jüdischen Königsberg hörte, wuchs seine Frau als Tochter eines evangelischen Pfarrers in der DDR auf. Die ostpreußische Familiengeschichte lenkte ihr Interesse früh auf das heutige Osteuropa. Sie lernte Russisch, Polnisch und Litauisch, lehrte einige Jahre Geschichte an der Universität Klaipeda, dem früheren deutschen Memel, bevor sie Professorin an der Berliner Humboldt-Universität wurde.

Die Kaliningrader Juden – inzwischen sind es rund 2000 – entschlossen sich, die Nachfolge der deutsch-jüdischen Gemeinde von Königsberg anzutreten.

Michael Leiserowitz hingegen ging nach dem Abitur nach Israel, um Hebräisch zu lernen und die Reiseleiter-Lizenz für Israel zu erwerben. Nach acht Jahren kehrte er zurück, absolvierte ein Touristik- und BWL-Studium und machte sich mit einem auf Israel spezialisierten Reisebüro selbstständig. Die Faszination für das ehemalige Ostpreußen, die einstige Heimat ihrer Vorfahren, brachte Ruth und Michael zusammen. Seit 2000 sind sie verheiratet.

POGROMNACHT »Als die wiederaufgebaute Königsberger Synagoge 2018 feierlich eröffnet wurde, waren wir dabei – ein Glücksgefühl«, sagt Michael Leiserowitz. Die Synagoge liegt direkt gegenüber dem ebenfalls wiederaufgebauten Dom im historischen Zentrum der Stadt. »Unglaublich!«, begeistert sich Michael Leiserowitz, »von den Nazis in der Pogromnacht im November 1938 niedergebrannt und 80 Jahre später von zumeist russischen Juden wiederaufgebaut!«

Ruth Leiserowitz fährt fort: »Wir hatten schon während der Bauzeit beim Auswärtigen Amt in Berlin angefragt, ob es nicht möglich wäre, für den Wiederaufbau einen Zuschuss zu bekommen.« Doch Berlin sagte ab. Das Außenministerium gebe grundsätzlich kein Geld für Baumaßnahmen, hieß es. »Aber immerhin bekamen wir den Hinweis, uns erneut ans Auswärtige Amt wenden zu können, sollte in der Synagoge eine Ausstellung geplant werden. Das haben wir getan.«

Für eine ganze Museumsetage seien die zugesagten 320.000 Euro zwar nicht allzu viel, aber nach intensiven Beratungen mit den Kaliningrader Juden habe man sich entschlossen: »Wir fangen an!«

Interview

Der Medienschaffer

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024

Nachruf

Joe Lieberman stirbt mit 82 Jahren

Fast ein Viertel Jahrhundert lang setzte er sich als Senator auch für jüdische Belange ein

von Imanuel Marcus  28.03.2024

USA

Bildhauer Richard Serra gestorben

Für mehr als 100 öffentliche Orte schuf er Skulpturen – von Philadelphia und St. Louis bis Bochum und Kassel

 27.03.2024

Moskau

Evan Gershkovich bleibt in Untersuchungshaft

Putin will den inhaftierten US-Journalisten gegen russische Gefangene auszutauschen

 26.03.2024

Glosse

Woher stammt der Minderwertigkeits-komplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen?

Und was verbindet die Identitätskarte mit der Rappenspalterei?

von Nicole Dreyfus  25.03.2024

Schweiz

Antisemitismus-Problem an Schulen

Die Zahlen sind erschreckend, doch die Stadt Bern wiegelt ab. Und jüdische Eltern verlieren das Vertrauen

von Nicole Dreyfus  24.03.2024

Großbritannien

»Beste Wünsche für eine Refua Schlema«

Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis und das Board of Deputies wenden sich nach ihrer Krebsdiagnose an Prinzessin Kate

 24.03.2024 Aktualisiert

Jubiläum

Mehr als koscheres Pastrami-Sandwich

New York feiert in diesem Jahr seinen 400. Geburtstag. Eine Reise durch die jüdische Geschichte der Stadt

von Hannes Stein  23.03.2024

Iran

Von Schuschan bis Teheran

Tausende Juden leben noch in der Islamischen Republik. Dieser Tage feiern sie Purim – trotz allem

von Mascha Malburg  21.03.2024