Schweiz

Offenes Ohr für die Soldaten

Armeeseelsorger Daniele Scarabel, Muris Begovic und Jonathan Schoppig (v.l.) Foto: picture alliance/KEYSTONE

Bei der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) am letzten Mai-Wochenende in Bern trug Jonathan Schoppig Zivilkleidung. Dies ist an sich eine Normalität und nicht der Erwähnung wert – hätte der Zürcher Jurist, der am Schabbat auch als Vorbeter der Jüdischen Gemeinde Bern fungiert, nicht in den drei Wochen zuvor die Uniform der Schweizer Armee getragen.

Dies tat er allerdings nicht als »gewöhnlicher Soldat«, der er auch ist (in der Schweiz gilt eine allgemeine Dienstpflicht), sondern er tat es als einer von zwei jüdischen Teilnehmern einer dreiwöchigen Ausbildung zum Armee-Seelsorger, die in Luzern stattfand.

PLÄNE Jonathan Schoppig und sein Kollege Zsolt Balkanyi, der Rektor der Jüdischen Schule Noam in Zürich, sind die beiden ersten jüdischen Schweizer, die für diese Ausbildung zum Seelsorger ausgewählt wurden. Im Januar 2023 werden sie ihren Dienst antreten – knapp zwei Jahre, nachdem die Armeeführung solche Pläne erstmals publik machte.

Für Jonathan Schoppig sei die Ausbildung, gemeinsam mit muslimischen und christlichen, darunter freikirchlichen Kollegen, überaus spannend und anregend gewesen, erzählt er. »Ich habe sehr viel gelernt und auch Neues über andere Religionsgemeinschaften erfahren.«

Umgekehrt konnten Schoppig und Balkanyi ihren Kollegen die Werte und Inhalte der jüdischen Religion vermitteln. Wie weit sie in ihrer kommenden Tätigkeit diese spezifisch jüdischen Bedürfnisse allerdings weiterführen können, ist unsicher.

Probleme Denn anders als in vielen anderen Ländern, die eine Militärseelsorge etabliert haben, sind Schoppig, Balkanyi und ihre Kollegen jeweils einem Armee-Bataillon zugeteilt und dort für alle Soldatinnen und Soldaten zuständig und damit auch für alle möglichen Probleme.

Die beiden jüdischen Seelsorger gehen davon aus, dass die meisten Probleme nicht in erster Linie religiöser Art sind. Gefragt, was er machen würde, wenn sich ein jüdischer Soldat mit einem Problem an ihn wenden würde, sagt Zsolt Balkanyi: »Ich würde einen Rabbiner hinzuziehen.«

Hinter der jüdischen Vertretung in der Schweizer Armee steht der SIG, der als Vertragspartner des Militärs fungiert. Deshalb hat der Dachverband die beiden Vertreter auch vorgeschlagen. Die Hoffnung, dass unter den ersten jüdischen Seelsorgern auch eine Frau sein würde, haben sich allerdings nicht erfüllt.

VERTRAG Weiter war es der SIG, der die Vereinbarung, welche die Armee mit allen Vertragspartnern abgeschlossen hat, als jüdische Vertretung unterzeichnete. In dieser Vereinbarung werden nicht zuletzt die demokratischen und pluralistischen Werte der Organisation betont. Dies sei sehr wichtig, betont Samuel Schmid, Chef der Schweizer Armee-Seelsorge: »Die Armee gibt diese Werte vor und überprüft auch, ob und wie sie eingehalten werden.«

Samuel Schmid, der der evangelisch-reformierten Kirche angehört, hält die neuen Armeeseelsorger, die ihre Ausbildung unter dem Stichwort »Diversität« absolviert haben, für eine »absolute Erfolgsgeschichte«, wie er im Gespräch sagt. Es manifestiere sich damit auch eine gewisse Öffnung der Schweizer Gesellschaft. Wichtig sei, sagt Schmid weiter, dass die religiöse Herkunft und damit der Hintergrund der ausgewählten neuen Seelsorger sichtbar seien – das gelte auch und nicht zuletzt für die beiden jüdischen Vertreter. Spezial-Kompetenz werde immer wieder gefragt sein, glaubt Schmid.

Schoppig und Balkanyi werden vermutlich am Anfang ihrer Tätigkeit weniger im Fokus stehen als die freikirchlichen oder der muslimische Seelsorger (der aus einer bosnisch-muslimischen Gemeinde stammt). Denn ihnen könnten gewisse Kreise unterstellen, die Soldaten beeinflussen zu wollen, was aber in diesem Rahmen ohnehin nicht möglich wäre.

Film

Ein bescheidener Held

»One Life« erzählt die Geschichte von Nicholas Winton, der Kindertransporte von der Tschechoslowakei nach Großbritannien organisierte

 29.03.2024

New York

Ex-Krypto-König Bankman-Fried soll für 25 Jahre ins Gefängnis

Noch vor zwei Jahren wurde Sam Bankman-Fried als Finanzgenie und Galionsfigur einer Zukunftswelt des Digitalgelds gefeiert. Nun soll er als Betrüger mehr als zwei Jahrzehnte hinter Gittern verbringen

von Andrej Sokolow  28.03.2024

Interview

Der Medienschaffer

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024

Nachruf

Joe Lieberman stirbt mit 82 Jahren

Fast ein Viertel Jahrhundert lang setzte er sich als Senator auch für jüdische Belange ein

von Imanuel Marcus  28.03.2024

USA

Bildhauer Richard Serra gestorben

Für mehr als 100 öffentliche Orte schuf er Skulpturen – von Philadelphia und St. Louis bis Bochum und Kassel

 27.03.2024

Moskau

Evan Gershkovich bleibt in Untersuchungshaft

Putin will den inhaftierten US-Journalisten gegen russische Gefangene auszutauschen

 26.03.2024

Glosse

Woher stammt der Minderwertigkeits-komplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen?

Und was verbindet die Identitätskarte mit der Rappenspalterei?

von Nicole Dreyfus  25.03.2024

Schweiz

Antisemitismus-Problem an Schulen

Die Zahlen sind erschreckend, doch die Stadt Bern wiegelt ab. Und jüdische Eltern verlieren das Vertrauen

von Nicole Dreyfus  24.03.2024

Großbritannien

»Beste Wünsche für eine Refua Schlema«

Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis und das Board of Deputies wenden sich nach ihrer Krebsdiagnose an Prinzessin Kate

 24.03.2024 Aktualisiert