Nigeria

Noch ein verlorener Stamm?

Den Westen Afrikas dachte William Miles, Politologieprofessor an der Universität Boston, nach mehr als 30 Jahren Forschung zu kennen. Umso größer war sein Staunen, als er vor Kurzem von einer kleinen Gruppe observanter Juden in Nigeria erfuhr.

Sie stammen aus der Ethnie der Igbos, mit einer Zahl von 30 Millionen die drittgrößte Volksgruppe in Nigeria. Der Staat an der Atlantikküste ist traditionell zwischen Christen und Muslimen aufgeteilt. Aktuell erfährt das religiöse Spektrum aber eine große Veränderung: Laut Miles bekannten sich in jüngster Zeit 30.000 Igbos zum Judentum, nigerianische Zeitungen berichten gar von 80.000.

Mehrmals reiste Miles zu den jüdischen Igbos – »Jubos« – und schloss mit einigen enge Freundschaften. Seine Erfahrungen hielt er in dem kürzlich erschienenen Buch fest: Jews of Nigeria. An Afro-Judaic Odyssey (Die Juden von Nigeria – eine afro-jüdische Odyssee). Am meisten beeindruckte Miles, der selbst jüdisch ist, die tiefe religiöse Überzeugung der Jubos – und dies, obwohl sie ihr Judentum oft in erster Generation praktizieren.

Vorfahren »In mir fließt das Blut Israels«, sagt ein Jubo in Miles’ Buch. Hartnäckig behauptet die Gruppe, einer der verlorenen Stämme zu sein: die Nachfahren von Israeliten, die vor Jahrtausenden aus dem Nordreich vertrieben wurden und seitdem als verschollen gelten. Andere nennen als Vorfahren jüdische Migranten, die aus Portugal, Nordafrika und dem Vorderen Orient nach Nigeria kamen. Wissenschaftlich untersucht wurden diese Behauptungen nie, und so bleibt genügend Spielraum für Spekulation und Ideologie.

Als Juden anerkannt hat das israelische Oberrabbinat die Igbos noch nicht. Die Gemeinschaft nennt sich aber aus Überzeugung »Israel in Nigeria«. Zu groß seien laut eigener Auffassung die Gemeinsamkeiten zwischen Israeliten und der Igbo-Kultur: Beide beschneiden ihre Söhne am achten Tag nach der Geburt, begrüßen den Neumond mit Gebeten und halten die Kaschrut.

Internet Wie wurden die Igbos zu Juden? Die meisten Jubos in Miles’ Buch praktizieren ihr Judentum in erster Generation, nachdem sie es »wiederentdeckt« haben. Geboren wurden sie als Christen, hatten angesichts der vielen Gemeinsamkeiten zum Judentum aber stets gezweifelt. Jahrelang hatten sie als messianische Juden gelebt, ehe sie zum orthodoxen Judentum übertraten. Das aufkommende Internet trieb dies voran, da hier Informationen und Toratexte abrufbar sind. Miles spricht von den ersten »Internet-Juden«.

Heute praktizieren die Jubos das Judentum mit allem, was dazugehört: Tallit, Kippa, Tefillin. Sie fasten an Jom Kippur, feiern Chanukka und begehen Schabbat auf traditionelle Weise. Leicht ist dies oft nicht, denn in Nigeria gibt es keine jüdischen Kultgegenstände zu kaufen.

Ehe Miles zur Barmizwa eines nigerianischen Jungen aufbrach, erhielt er von seinem Freund Habakkuk eine Einkaufsliste für Torabände und Tefillin. »Obwohl Jubos mittlerweile in 26 Synagogen beten können«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen, »gibt es in ganz Nigeria noch keinen Rabbiner. Sie folgen traditionellen Älteren, doch diese tragen nicht den Titel eines Rabbiners.«

Spekulationen Einmal mehr beschreibt Miles, wie sehr Not erfinderisch macht. So stieß er bei seinem ersten Besuch auf Channukakerzen aus Cola-Flaschen und Pappmaché, las aus Gebetsbüchern aus dem Internet oder lauschte Igbo-Liedern auf Hebräisch. Die Sprache ihrer vermeintlichen Vorfahren haben die meisten Jubos ebenfalls aus dem Internet gelernt. Von israelischen Organisationen gibt es nur bedingt Unterstützung. Michael Freund, Gründer von Shavei Israel, bezeichnet das Streben vieler Völker, als Juden anerkannt zu werden, als »Wunschdenken«. Er hofft, dass Wissenschaftler eines Tages tatsächlich den Beweis für die israelitischen Wurzeln der Igbos finden und damit Spekulationen aus dem Weg räumen.

Im Zuge seiner Recherche sprach Miles auch mit Chinua Achebe, einem Igbo und dem wahrscheinlich bekanntesten Autor afrikanischer Literatur. Wie auch Miles zuvor hatte Achebe keinen Schimmer von der Existenz seiner vermeintlich jüdischen Stammesbrüder. Jedoch sei dies ein »Thema, das sich lohnt, weiter untersucht zu werden«, so Achebe.

William Miles: »Jews of Nigeria. An Afro-Judaic Odyssey«. Markus Wiener Publishers, Princeton 2013, 184 S., 24,95 US-$

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025