Ukraine

Liberal am Dnjepr

Die Vorbereitungen haben Jahre gedauert, nun sind sie fast abgeschlossen: In wenigen Wochen soll in Kiew ein liberales Gemeindezentrum seine Arbeit beginnen. Vor Kurzem wurde der Kaufvertrag unterschrieben. »Im Mai wollen wir die Eröffnung feiern und allen liberalen und reformorientierten Kräften einen Anlaufpunkt bieten«, sagt Alexander Gaidar, Vize-Direktor der Progressiven Juden in der Ukraine.

Fast 15 Jahre lang haben die Kiewer zusammen mit Partnern in den USA und Kanada diesen Plan verfolgt. Vor allem durch Spenden der World Union for Progressive Judaism (WUPJ) wurde das Vorhaben überhaupt erst möglich. Wie hoch der Kaufpreis war und welches Jahresbudget zur Verfügung steht, darüber schweigt man.

strategie Das neue Gemeindezentrum liegt im Herzen von Podil, dem alten jüdischen Viertel der ukrainischen Hauptstadt. In Moskau und der weißrussischen Hauptstadt Minsk betreibt die WUPJ bereits solche Zentren. »Unser neues Projekt in Kiew ist ein weiterer Teil unserer Strategie, die Arbeit in den Ländern der früheren Sowjetunion auszuweiten, um die dort ansässigen Gemeinden zu stärken«, schreibt Anne Molloy, Vorsitzende des Ausschusses für die Zusammenarbeit mit den Ländern der GUS in der WUPJ.

Die Liberalen sind in der Ukraine eine Minderheit. Von den rund 400.000 Juden im Land zählen sich lediglich 12.000 zum Reformjudentum, in Kiew gibt es etwa 1000 Mitglieder. Doch Alexander Gaidar ist optimistisch. »Die Orthodoxen haben kein Monopol auf Wahrheit. Wir sehen unser Angebot als Ergänzung des Bestehenden«, sagt er.

In der vierten Etage eines Neubaus auf der Jaroslawska 6 im Herzen Podils entsteht derzeit das neue Zentrum. Das Gebäude mit der beigefarbenen Fassade und dem dunkelroten Dach beherbergt auch ein Restaurant sowie einige Geschäfte. In nur einem Tag konnten der Kaufvertrag beglaubigt und die Formalitäten mit Bank und Behörden auf den Weg gebracht werden. »Das hat unsere Partner aus den USA sehr überrascht«, sagt Gaidar.

sonntagsschule Die Arbeit der neuen Anlaufstelle in Podil konzentriert sich vor allem auf Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern. Neben Klassikern wie der Sonntagsschule möchte das Haus auch einen Frauenklub eröffnen sowie Treffpunkt für jüdische Intellektuelle sein. In erster Linie wird das neue Zentrum seinen Besuchern ein breites Angebot an Bildung und Kultur machen. »Alle, die ein Rückkehrecht nach Israel haben, sind bei uns willkommen«, umschreibt Gaidar den Personenkreis, für den sein Haus offen sein möchte.

Die Bildungsprogramme wenden sich an Kinder und deren Eltern, etliche Kurse sollen sie gemeinsam besuchen. Das Zentrum soll vor allem die Gruppe der 12- bis 17-Jährigen ansprechen. Geplant sind Freizeitangebote für Schüler, aber auch ein Kindergarten. »Unsere Aufgabe ist es, dem Menschen von heute eine Antwort auf seine Fragen zu geben«, formuliert Gaidar den Auftrag.

Antisemitismus Die Lage der Juden in der Ukraine ist derzeit angespannt. Der Einzug der nationalistischen Partei Swoboda mit rund zehn Prozent ins ukrainische Parlament Ende Oktober vergangenen Jahres hat viele überrascht. Wenige Wochen später schockierte der Abgeordnete Igor Miroschnitschenko mit seiner antisemitischen Äußerung über die amerikanische Schauspielerin Mila Kunis. Im Dezember hatte er sie und ihre Familie auf seiner Facebook-Seite mit dem Schimpfwort »Schidowka« beleidigt und behauptet, sie sei keine »richtige Ukrainerin«. Das Wort »Schidowka« bedeutet übersetzt so viel wie »dreckige Jüdin« und wurde während der Schoa von den Nazis und ihren Verbündeten gebraucht.

Das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles schaltete sich ein und forderte den ukrainischen Ministerpräsidenten Nikolai Asarow auf, den Nazi-Ausdruck verbieten zu lassen. Rabbi Marvin Hier, Gründer des Wiesenthal-Zentrums, schrieb: »Wie viele Tausende andere ukrainisch-jüdische Familien hat Mila Kunis’ Familie die Ukraine in erster Linie wegen des Antisemitismus verlassen.«

Debatte Miroschnitschenkos Beschimpfungen haben in der Ukraine eine Debatte losgetreten. Eine Petition, die das Wort »Schidowka« verbieten sollte, wurde trotz Protesten der jüdischen Gemeinschaft von der Regierung abgelehnt. Für Josif Axelrod, Direktor der Vereinigung der jüdischen Gemeinden in der Ukraine, sind solche Äußerungen ein Skandal. »Damit beschädigen die Leute nicht nur sich selbst und das Parlament, sie ruinieren den Ruf des gesamten Landes«, beklagt er.

Vor diesem Hintergrund hofft Axelrod, dass die jüdischen Gemeinden in Zukunft stärker zusammenarbeiten. Ihm ist klar, dass das nicht von heute auf morgen reibungslos funktionieren wird. Was er sich jetzt wünscht, ist eine projektbezogene Zusammenarbeit der verschiedenen Gemeinden. Er begrüßt die Neugründung der liberalen Gemeinde in Podil. Allein in Kiew leben zwischen 80.000 und 90.000 Juden. Axelrod glaubt, dass der eine oder andere gespannt sein wird und im neuen Zentrum vorbeischaut.

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