Porträt

Große Fußstapfen

Der 2018 in Berkeley promovierte Historiker Alexander Soros ist bereits so rastlos wie sein Vater für das Soros-Stiftungsimperium unterwegs. Foto: imago images / Pacific Press Agency

Porträt

Große Fußstapfen

Alexander Soros folgt auf seinen Vater George Soros an der Spitze der Open Society Foundations

von Daniel Killy  16.08.2023 11:42 Uhr

Ungarns Regierungssprecher Zoltán Kovács hetzte wie gewohnt: »Die Vertreter des Soros-Netzwerks wurden nie gewählt, in gewissem Sinne könnte man sagen, dass sie fast eine Mafia sind«, behauptete der Paladin von Regierungschef Viktor Orbán Mitte Juni.

Doch diesmal richtete sich der Hass nicht gegen den 92-jährigen Philanthropen George Soros. Denn der ungarisch-stämmige Milliardär hat sein Stiftungsnetz »Open Society Foundations«(OSF) an eines seiner vier Kinder übergeben, und zwar an den 37-jährigen Alexander.

Wie der »Stern« berichtet, versuchte auch das gleichgeschaltete News-Portal »Origo« prompt, den gebürtigen New Yorker Alexander Soros als homosexuell darzustellen. Das gilt in Orbáns Reich, mitten im Europa des 21. Jahrhunderts, immer noch als Diskreditierung. Wer aber ist Soros junior, der nun nicht nur das philanthropische Erbe seines weltberühmten Vaters antritt, sondern wohl auch dessen Rolle als Sündenbock der vereinten Rechten gleich mit übernehmen darf?

Im ersten Interview seit seiner Ernennung, das er dem »Wall Street Journal« gab, sprach der 37-Jährige, der sich selbst Alex nennt, über seine politische Ausrichtung und die seines Vaters: »Wir denken ähnlich.« Er betonte aber auch: »Ich bin politischer.« So will Alexander Soros seine Arbeit breiter gefächert aufstellen als sein Vater. Zu seinen Themenfeldern gehören das Wahlrecht, das Abtreibungsrecht und die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Wahlkampagnen Nach WSJ-Angaben hatte der Vorstand der Open Society Foundations Alex Soros bereits im Dezember in aller Stille zu seinem Vorsitzenden gewählt. Zusätzlich wurde er auch Präsident des »Super PAC« seines Vaters – einer politischen Organisation in den Vereinigten Staaten, die unter anderem die Wahlkampagnen von Bezirksstaatsanwälten und Strafverfolgungsbeamten unterstützt, die sich für eine Verringerung der Verhaftetenzahlen und gegen den Rassismus im Justizsystem einsetzt – nur eine der Soros-Aktivitäten, die bei der amerikanischen Rechten für helle Empörung sorgen.

Etwa 125 Millionen Dollar seien laut WSJ für das »Super PAC« in den kommenden Jahren vorgesehen, während der größte Teil der 25 Milliarden Dollar im Soros Management Fund in die Open Society Foundations (OSF) fließen werde. Die gemeinnützige Stiftungsgruppe OSF vergibt jährlich rund 1,5 Milliarden Dollar an Gruppen, die sich für Menschenrechte in der ganzen Welt einsetzen und den Aufbau von Demokratien unterstützen. Das Geld der Stiftung fließt auch an Universitäten und andere Bildungseinrichtungen.

Seine Themen sind das Wahlrecht, das Abtreibungsrecht und die Gleichberechtigung.

Der 2018 in Berkeley promovierte Historiker Soros – das Thema seiner Dissertation lautete übrigens »Jüdischer Dionysos: Heine, Nietzsche und die Politik der Literatur« – ist bereits so rastlos wie sein Vater für das Soros-Stiftungsimperium unterwegs.

Er traf sich nach seiner Berufung mit Vertretern der Biden-Regierung, dem Mehrheitsführer im Senat, dem Demokraten Chuck Schumer, sowie mehreren Staatsoberhäuptern, darunter Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Kanadas Premierminister Justin Trudeau, um sich für Themen einzusetzen, die mit der Familienstiftung zusammenhängen.

Ein wichtiges innenpolitisches Thema für Alex Soros ist die Sorge vor der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. »So gern ich auch Geld aus der Politik abziehen würde, solange es die andere Seite finanziert, werden wir das auch tun müssen«, verriet er in einem Interview. Das ist durchaus als Hinweis zu verstehen, dass die Soros-Organisation im Präsidentschaftsrennen 2024 eine Rolle als Geldgeber spielen wird.

latino-wähler Alex Soros möchte die Attraktivität der Demokratischen Partei bei den Latino-Wählern erhöhen und die Wahlbeteiligung der afroamerikanischen Wähler verbessern. »Unsere Seite muss patriotischer und integrativer werden«, glaubt der 37-Jährige. »Nur weil jemand Trump wählt, heißt das nicht, dass er verloren oder rassistisch ist.«

Jahrelang glaubten George Soros nahestehende Personen, dass Alexʼ älterer Halbbruder Jonathan Soros (52), ein Anwalt mit Schwerpunkt Finanzwesen, der designierte Nachfolger sei. Groß und sportlich, spielte Jonathan mit seinem Vater Tennis, arbeitete eine Zeit lang in der Stiftung und stabilisierte den Soros-Hedgefonds in turbulenten Zeiten. Dann jedoch kam es, so berichten mehrere Quellen übereinstimmend, zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden und einem Sinneswandel beim Patriarchen.

So gewann letztlich Alex das Vertrauen seines Vaters, vertrat ihn zunehmend auf Reisen zu den Büros der Organisation in aller Welt und wuchs allmählich in die Chef-Rolle hinein. »Er hat es sich verdient«, sagt der Vater.

Letztendlich gewann Alexander Soros das Vertrauen seines Vaters George.

Soros junior gilt als jovialer im Umgang als sein Vater. So habe er bei der Arbeit in der Familienorganisation bisher auch einen kollegialen Managementstil offenbart, der sich sehr von dem seines Vaters unterscheide, so Kollegen.

notizbuch Alex kümmere sich um Details, die George normalerweise ignoriere. So nehme er zu Besprechungen stets ein kleines Notizbuch mit, das er mit Notizen füllt, um diese Beobachtungen dann mit den Mitarbeitern zu teilen. »Er kann die Leute in der Stiftung in den Wahnsinn treiben, weil er so aktiv ist«, sagt Anthony Romero, Geschäftsführer der American Civil Liberties Union, die von der OSF finanziert wird.

Dass die Wahl zum Nachfolger seines Vaters auf Alex fallen würde, schien zunächst unwahrscheinlich. Denn seine Interessen, so zitierte das WSJ Svante Myrick, einen Freund von Alex Soros, seien American Football, Philosophie und Politik, »in dieser Reihenfolge«. In jeder freien Minute hinge Alex während der Football-Saison der National Football League (NFL) vor der NFL RedZone, einem Pay-TV-Kanal, der in hektischen Schnitten alle paar Sekunden zwischen sämtlichen Live-Matches hin- und herschaltet. Myrick erzählt, dass er es vermeidet, seinen Freund an Spieltagen anzurufen.

Alex, der ältere von zwei Söhnen aus Georges zweiter Ehe mit Susan Weber, war als Junge nach Angaben von Kindheitsfreunden introvertiert, übergewichtig und schämte sich für den Reichtum seiner Familie. Als Teenager hatte Alex Soros auf Auslandsreisen manchmal Leibwächter, sein Familienname erregte unerwünschte Aufmerksamkeit. Er begann mit Sport und machte Musik, um sich anzupassen. »Ich wollte in gewisser Weise normaler sein«, erinnert er sich.

Weltpolitik Alex kam seinem Vater erst näher, nachdem seine Mutter 2004 die Scheidung eingereicht hatte. Zu dieser Zeit war er 18 Jahre alt und gerade an der New York University eingeschrieben. »In gewisser Weise nahm er das Vatersein nach der Scheidung ernster«, so Alex über George Soros.

Allerdings interessierte sich der Junior nur wenig für Finanzen. Im Gegenzug konnte er seinen Vater nicht dazu überreden, mit ihm die Spiele seines Lieblings-Football-Teams, die New York Jets, zu schauen. Stattdessen diskutierten sie stundenlang über Weltpolitik.

Als junger Erwachsener sorgte er dann eher als Partylöwe an Luxusorten wie den Hamptons im Staat New York oder dem französischen Cannes für mediale Aufmerksamkeit. Das lag gewiss auch an seinem glamourösen Umgang, etwa mit dem R&B-Sänger Usher oder seiner Ex-Freundin, dem Model Chanel Iman.

Judentum Obwohl die Attacken auf die Arbeit von George Soros und dessen Familie in den meisten Fällen antisemitisch konnotiert sind, haben die Soros-Stiftungen unter der Ägide des Seniors selten jüdische Belange gefördert. Das Judentum lag einfach nicht im Zentrum der Interessen des Vaters. Das sieht bei Alexander etwas anders aus. Mehrfach war er bereits in Israel, und im Unterschied zu seinem Vater sind ihm Feiertage wie Rosch Haschana und Pessach wichtig.

Mehrfach war er bereits in Israel, und im Unterschied zu seinem Vater sind ihm Feiertage wie Rosch Haschana und Pessach wichtig.

Dieser hatte in den 70er- und 80er-Jahren sein Vermögen als Hedgefonds-Manager gemacht. Das heißt, dass er auf Basis eigener und fremder Analysen wirtschaftliche und politische Prognosen erstellte und entsprechend auf Veränderungen der weltweiten Aktien-, Anleihe- und Devisenmärkte wettete. George Soros agierte immer erst dann als Investor, nachdem er seine Informationen, über die er dank enger Kontakte in die Politik und Wirtschaft reichlich verfügte, ausgewertet hatte. So brachte eine einzige Wette, dass das britische Pfund 1992 fallen würde, seinem Fonds mehr als eine Milliarde Dollar an Gewinnen ein.

Nach den Umwälzungen des Jahres 1989 konzentrierte sich der gebürtige Ungar George Soros als Philanthrop auf die Unterstützung der jungen Demokratien im ehemaligen Sowjetblock und anderswo. Doch dann übernahmen Autokraten wie Viktor Orbán mancherorten das Ruder und nahmen seine Stiftung immer mehr ins Visier, weshalb er sich 2018 aus Ungarn verabschieden musste.

Engagement Sohn Alexander dagegen begann 2004 seine Karriere als OSF-Teilzeitmitarbeiter, wurde später Mitglied des Vorstands und übernahm 2015 schließlich eine Vollzeitstelle. Neben seiner philanthropischen Tätigkeit war er 2018 an der Produktion von Filmen wie The Kleptocrats und Trial by Fire beteiligt und schrieb 2014 einen Essay für das Buch God, Faith and Identity from the Ashes, eine Sammlung von Geschichten über Nachkommen von Holocaust-Überlebenden. Auch das ist ein Beleg für sein größeres Engagement in jüdischen Angelegenheiten.

George Sorosʼ »jüdischer Hintergrund wurde auf schreckliche Weise ausgenutzt und hat einen tief sitzenden Antisemitismus in den USA offenbart«, erklärt Richard Marker, der Direktor des »Executive Education Program« am Center for High Impact Philanthropy der University of Pennsylvania, gegenüber der britischen Sonntagszeitung »The Observer«.

Alexander Soros mag vielleicht nicht den einmaligen Business-Instinkt seines Vaters George geerbt haben. Aber er kann Duftmarken setzen. Denn seine umfassende historische und politische Bildung vermag die Positionen der Soros-Stiftungen in zivilgesellschaftlichen Belangen durchaus zu stärken. Die Verbalattacken aus Ungarn sind schon erste Anzeichen dafür, dass seine Feinde den neuen Soros sehr ernst nehmen.

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