Belgien

Fisch, Wein und Chuzpe

Schwere Brokatvorhänge, viel Mahagoni und Marmor – sehr soigniert, sehr gediegen, das ist der erste Eindruck, den das Balthazar vermittelt. Hier kann man ganz leicht in die dicken roten Polster sinken, einen guten alten Wein goutieren und sich vorstellen, man wäre ganz woanders, in Paris zum Beispiel, und nicht in Brüssels versifftem, lieblos aus dem Boden gestampften EU-Viertel, zwischen Kommissionsgebäude und Europäischem Parlament.

Zwar ist das Essen nur so lala, aber trotzdem ist der Laden immer gut besucht, erstens von EU-Magnaten, Lobbyisten und Abgeordneten, die die günstige Lage schätzen, zweitens von der jüdischen Bevölkerung. Denn erstens ist es das einzige koschere Restaurant am Platz, zweitens be- wundern alle Brüsseler Juden die Chuzpe, mit der sich das alteingesessene Etablissement vor einiger Zeit klammmheimlich, still und unbemerkt in ein koscheres Restaurant verwandelt hat – und nun schon das dritte Jahr dieses Inkognito-Daseins überstanden hat.

Als Managerin Ruth Matusof das Restaurant vor drei Jahren übernahm, war ihr klar, dass sie sich mit ihrem Traum von einem glatt koscheren Restaurant in der belgischen Hauptstadt auf ein schwieriges Territorium begab: Koschere Restaurants haben in Brüssel eine durchschnittliche Lebensdauer von ungefähr einem Jahr. Danach gehen sie pleite, denn es gibt einfach nicht genug Nachfrage. Deshalb überlegte sich die aus Italien stammende Matusof, die mit einem Chabad-Lobbyisten ver- heiratet ist, diese ganz besondere Marketing-Taktik der stillen Übernahme.

Facelifting »Es war uns sehr wichtig, auch auf die nichtjüdische Klientel zu bauen, die das Balthazar sich über die Jahre aufgebaut hat, und diese nicht zu verschrecken«, sagt sie. »Wir haben beschlossen, das Wort ›koscher‹ im Menü, an der Straßenfront und auf der Website einfach wegzulassen und haben auch sonst versucht, das koschere Facelifting so unauffällig wie möglich vorzunehmen.«

Mit wechselndem Erfolg, finden manche Kunden, die das ursprüngliche Menü des Balthazar vermissen, zum Beispiel Joelle Benisty, die im EU-Parlament arbeitet und zur Mittagskundschaft gehört. Das Balthazar sei ein Dinosaurier, meint sie. »Es steht schon seit ewigen Zeiten hier, und mit dem Namen verbindet sich ein Renommee, das man auch mit fadem koscheren Fleisch nicht totkriegen kann. Sorry, aber ich finde, das Fleisch-Angebot ist nicht der Hit.« Wer hierher komme, nehme nur beim ersten Mal Fleisch und weiche beim zweiten Mal auf die Fischgerichte aus, sagt Benisty. Die seien aber auch wirklich erstklassig, genauso wie die Weinkarte und der Service.

Tatsächlich ist die Atmosphäre während der Mittagszeit gemütlich und intim. Die Chefin, im edel geschneiderten Businesskostüm und smarten Scheitel gleitet elegant von Tisch zu Tisch und parliert mit ihren Stammgästen, die sie alle persönlich zu kennen scheint. Es gibt viele gemütliche Ecken, wo man behaglich und ungestört über Geschäftliches reden kann.

So tut es zum Beispiel Richard Grossmann, er ist Kommissionsbeamter und isst hier schon seit Jahren. »Im EU-Viertel ein wirklich stylisches Restaurant zu finden, ist nicht einfach. Die meisten Läden sind so gesichtslos und unterkühlt wie das EU-Viertel selbst. Das Balthazar ist anders, es hat Stil, Klasse und Wärme«, meint er. Den Fauxpas, sich nach Krustentieren auf dem Menü zu erkundigen, habe er nur einmal begangen. »Inzwischen nehme ich immer das Steak. Der Rest des Menüs ist eher durchschnittlich, trotzdem komme ich oft her, weil mir das Ambiente gefällt.«

gepfeffert Was die jüdische Klientel betrifft, so setzt sie sich aus gut verdienenden jungen oder älteren Ehepaaren zusammen, die im Balthazar – trotz seiner gepfefferten Preise – einen Tisch für ein romantisches Dinner, zum Geburts- oder Hochzeitstag reservieren. »Aber das wirklich nur zwei- oder dreimal im Jahr«, meint David, ein junger jüdischer Rechtsanwalt. »Ich lasse jedesmal einen Haufen Geld hier für ein Essen, das meine Mutter mir genauso oder noch besser hätte kochen können.« Das Menü sei »echt nichts Besonderes«. Aber seine Frau und er, sie »genießen nun mal gerne den Luxus eines koscheren Restaurants, ohne den Shlep nach Antwerpen machen zu müssen«.

Seit einiger Zeit ist das Balthazar wegen der allgemein schwächelnden Finanzen ins Trudeln geraten. Matusof überlegt, ob sie den Laden verkaufen soll. Immerhin hat sie im EU-Viertel noch ein anderes gut laufendes Restaurant, die (ebenso wenig augenfällig) koschere Pizzeria da Bruno. Außerdem trägt sie sich bereits mit neuen Pro- jekten, wie zum Beispiel Brüssels erstem und einzigen koscheren Sushi-Restaurant.

www.resto.com/balthazar

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

 12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025

Großbritannien

Empörung über Israels Einladung an Rechtsextremisten

Jüdische Verbände und Kommentatoren in Großbritannien sind entsetzt, dass Diasporaminister Chikli und Knesset-Sprecher Ohana ausgerechnet nach dem Anschlag von Manchester einen rechten Agitatoren hofieren

von Michael Thaidigsmann  06.10.2025

Türkei

»Zionist«: Robbie-Williams-Konzert in Istanbul am 7. Oktober abgesagt

Die Stadt verweist auf Sicherheitsbedenken – zuvor gab es online massive Proteste wegen jüdischer Familienbezüge des Musikers

 05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025