polen

Entweiht und bemalt

»Mir ist schlecht geworden, als mich dieser Wehrmachtssoldat in seiner Uniform anstarrte. Von der Rückseite einer Torarolle!«, stöhnt Tadeusz Jakubowicz. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Krakau fährt sich mit der Hand über die Augen. »Ich kann das nicht mehr sehen! Müssen wir uns das immer wieder antun und uns so das Leben vergiften?« Dann deutet er auf die Vitrine im Jüdischen Museum Galicja.

Unter einem hellen Lichtstrahl sind die beiden Porträts von Alfred und Hedwig Mayer aus Tübingen zu sehen, gemalt auf eine zerschnittene Torarolle. »Man sollte diese Bilder abschaben, chemisch entfernen, verbrennen – und die Fragmente der Torarolle beerdigen, so wie es der religiöse Brauch vorschreibt«, fordert Jakubowicz.

Ganz anderer Ansicht ist Jason Francisco, Fotograf, Professor an den Universitäten Emory in Georgia und Stanford in Kalifornien sowie Ausstellungsmacher in Krakau. »Als ich von diesem seltsamen Fund in der Wohnung eines Elektrikers in Tübingen hörte, war ich sofort dafür, ihn nach Krakau zu holen. Ich wollte die durch die Porträts geschändete Tora hier zeigen, nicht weit von Auschwitz entfernt.«

abscheu Dass jemand zum Malen ausgerechnet eine Torarolle gewählt habe, rufe sicher bei den meisten Betrachtern Abscheu hervor, ist Francisco überzeugt. Aber über den historischen Kontext sei kaum etwas bekannt: »Wir wissen weder, wer das Bild gemalt hat, noch, wer es in Auftrag gegeben hat«, erklärt der Amerikaner. Die Mayers, das zumindest ist sicher, haben nicht Porträt gesessen. Die Bilder entstanden aufgrund von Fotos als Vorlagen.

»Ich habe schon ganz andere Sachen gesehen, die aus der Tora gemacht wurden«, erzählt Boaz Pash, Rabbiner der kleinen jüdischen Gemeinde in Krakau. »Schuheinlagen zum Beispiel, Schürzen und sogar einen Lampenschirm. Diese Porträts der beiden Mayers sind aber tatsächlich das Furchtbarste.« Denn bei den Gebrauchsgegenständen sei es allein um den praktischen Nutzen des Pergaments gegangen. »Hier aber sollte so etwas wie Kunst entstehen.« Diese »totale Respektlosigkeit« mache ihn fassungslos. »Die Tora ist ein Buch zum Lernen und Studieren. Drehen wir die Bilder also um und lesen, was geschrieben steht. Schließlich entscheiden wir, was für uns wichtig ist«, so der Rabbiner.

Entdeckt hat die Bilder der Tübinger Religionslehrer Helmut Schneck. »Ich hatte die Wohnung gekauft, nahm die Bilder von der Wand und wollte sie wegwerfen, als ich sah, dass sie auf die Rückseite des Buches Exodus gemalt waren.« Er schüttelt den Kopf, kann es immer noch nicht fassen. »Was sollte ich damit tun? Das war die schwierigste Frage. Wegwerfen, verkaufen? Das war unmöglich.«

recherche Schneck setzte alle Hebel in Bewegung, um mehr über die Herkunft der Bilder herauszufinden, vielleicht sogar die Synagoge zu finden, aus der die Torarolle entwendet worden war. Bei seiner Recherche stieß er auf ein weiteres Frauenporträt und ein Stillleben auf Torafragmenten, die im Berliner Centrum Judaicum aufbewahrt werden. Allerdings sind weder der Maler noch die Torarolle identisch.

»Am Ende, nach Konsultationen mit Rabbinern und Spezialisten, entschloss ich mich, die Fundstücke dem Haus der Geschichte in Stuttgart zu übereignen. Das Museum hat sie dann nach Krakau ausgeliehen.« Schneck wirft einen Blick auf die angestrahlten Exponate im Museum Galicja und guckt ein wenig ratlos: »Ob das richtig war? Ich weiß es nicht!«

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025