Mexiko

Ein Verbrechen, das Rätsel aufgibt

Nach den tödlichen Schüssen: Polizei und Soldaten am Tatort in El Pedregal (Ende Juli) Foto: Reuters

Es mutet wie die Szene eines Gangsterfilms an – nur, dass sie sich Ende Juli in Mexiko-Stadt tatsächlich zutrug: Ein Mann und eine Frau – sie wohl mit blonder Perücke – sitzen an einem der Tische in einem vornehmen China-Restaurant in El Pedregal, einer gehobenen Wohngegend im Süden von Mexiko-Stadt. Es ist später Nachmittag, das Restaurant gut besucht, Kellner in weißen Hemden wuseln zwischen den Tischen. Kurz nach 17 Uhr erhebt sich das Pärchen, die Hände in den Taschen, nähert sich einem der Tische – und feuert auf die dort sitzenden Männer.

Panik bricht aus, die übrigen Gäste werfen sich auf den Boden oder suchen Schutz in der Küche. Das Ganze dauert keine halbe Minute. Zwei Israelis, Binyamin Yeshuron Sutchi (44) und Alon Azoulay (41), bleiben tödlich getroffen liegen.

Auf Überwachungsvideos ist noch eine weitere Person zu sehen: eine blonde Frau, die den Tisch reserviert hatte, um sich mit den Israelis zu treffen.

Das Mörderduo flüchtet in ein blaues Fahrzeug, das vor dem Lokal auf sie wartet. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei entkommen die beiden. Zwei Tage später wird das Auto im Süden der Hauptstadt gefunden.

Auf Überwachungsvideos ist noch eine weitere Person zu sehen: eine blonde Frau, die den Tisch reserviert hatte, um sich mit den Israelis zu treffen. Als die Schießerei losging, entkam sie durch die Küche und verschwand in der Menge im Einkaufszentrum. Laut der mexikanischen Tageszeitung »Milenio« soll es sich um Vanessa Ballar handeln, eine 54-Jährige, die die Israelis bereits zuvor zweimal getroffen hatte – mutmaßlich, um die Übergabe von Schwarzgeld zu organisieren.

Untersuchung Von Ballar und den anderen Tätern fehlt jede Spur. Nur die Todesschützin konnte kurz nach der Tat festgenommen werden. Die 33-jährige Esperanza N. erklärte dem Staatsanwalt zunächst, es habe sich um eine Eifersuchtstat gehandelt – Rache für angebliche Untreue. Später gab sie zu, angeheuert worden zu sein. Das Geständnis leitete die Untersuchung in Richtung eines mutmaßlichen Streits zwischen der israelischen Mafia und mexikanischen Kartellen.

Noch aber liegt vieles im Dunkeln. Sicherheitsminister Alfonso Durazo sprach zwei Tage nach der Tat von einem »Begleichen von Rechnungen« im Zusammenhang mit Geldwäsche. Die beiden Getöteten, Sutchi und Azoulay, scheinen vor den Augen der mexikanischen Sicherheitsbehörden ein Doppelleben geführt zu haben. Im Bundesstaat Oaxaca war auf ihren Namen eine Beratungsfirma registriert, die auch Regierungsaufträge ausführte. Offenbar war dies die Fassade für das Hauptgeschäft: Geldwäsche.

Die beiden waren laut israelischer Botschaft sowohl in Mexiko als auch in Israel vorbestraft. Azoulay gab sich als angesehener internationaler Anwalt aus. Sutchis Geschichte ist um einiges spektakulärer. So soll er Anfang der 90er-Jahre zusammen mit seinem Komplizen Erez Akrishevski versucht haben, einen Kriminellen und dessen Sohn zu töten. Sutchi wurde zu 17 Jahren Haft verurteilt, Akrishevski zu 21 Jahren. Nach Angaben der israelischen Zeitung »Maariv« flohen sie 2001 mit der »Hilfe eines korrupten Polizisten« ins Ausland. Sutchi tauchte 2005 in Mexiko auf. Dort begann er, zunächst als Sicherheitsberater für die von Entführungen geplagte jüdische Gemeinde in Mexiko-Stadt zu arbeiten, wie sich der damalige Vizeminister für öffentliche Sicherheit der Stadt, Gabriel Regino, in einem Fernsehinterview erinnerte.

Die beiden waren laut israelischer Botschaft sowohl in Mexiko als auch in Israel vorbestraft. Azoulay gab sich als angesehener internationaler Anwalt aus.

Gemeinde Mónica Unikel von der Nidjei-Israel-Synagoge im historischen Stadtzentrum von Mexiko-Stadt, die sich sehr aktiv in der Gemeinde engagiert, kann sich hingegen weder an Azoulay noch an Sutchi erinnern: »Ich habe keinerlei Information. Ich habe noch nie zuvor von ihnen gehört«, sagte sie der Jüdischen Allgemeinen.

Sutchi kehrte bald in die Illegalität zu­rück und widmete sich Erpressung, Glücksspiel und Drogenhandel. 2005 wurde er in Polanco, im Westen von Mexiko-Stadt, verhaftet, wo er laut Regino den Kokainhandel kontrollierte, und erneut nach Israel abgeschoben. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe kehrte er Ende März nach Mexiko zurück, wo auch sein früherer Fluchtpartner Akrishevski lebte. Der wurde Mitte Juli in Cancún festgenommen und einen Tag vor Sutchis Ermordung ebenfalls nach Israel abgeschoben. Zufall? Oder ein Doppelmord aus Rache an dem ehemaligen Partner? Auch zwei Wochen nach der Tat gibt es immer noch mehr Fragen als Antworten.

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024