Rumänien

Ein Herz für die Menschen

Die Hilfsorganisation IsraAID Germany unterstützt ukrainische Geflüchtete. Unser Autor war vor Ort. Ein Erfahrungsbericht

von Martin Schubert  03.04.2022 08:15 Uhr

Engagiert sich in der Flüchtlingshilfe: Alisa Poplavska Foto: israaid

Die Hilfsorganisation IsraAID Germany unterstützt ukrainische Geflüchtete. Unser Autor war vor Ort. Ein Erfahrungsbericht

von Martin Schubert  03.04.2022 08:15 Uhr

Am 24. Februar erwachten meine Frau Alisa Poplavska und ich in unserer friedlichen Brandenburger Datsche. Seit dem Truppenaufmarsch Putins hatte sie mein Versprechen, vor dem Yoga nicht die Nachrichten zu erwähnen.

Aber als auf dem Smartphone die Meldung über den russischen Angriff auf die Ukraine kam, fiel es mir schwer, Wort zu halten. Denn in Mykolajiw und Kiew lebt Alisas Familie. Nach dem Yoga sagte ich es ihr. Seitdem leben wir in einer anderen Welt. Das Handy kennt keine Stummschaltung mehr, und Fragen wie »Wie geht’s dir?« klingen sinnlos.

ausreise Wir fuhren nach Berlin, um schneller bereit zu sein, falls die Familie flüchtet. Doch Männern zwischen 18 und 60 Jahren ist die Ausreise nicht gestattet. Mein Schwager ist 18 und der Schwiegervater 59. Wir demonstrierten am Brandenburger Tor, halfen am Hauptbahnhof.

Alisa wollte ihrer Familie so nah wie möglich sein.

Dann wurde Alisa von IsraAID Germany kontaktiert. Die 2016 gegründete Partnerorganisation der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) hatte schon vor dem Krieg eine Kunsttherapeutin für Kinder gesucht. Jetzt war IsraAID in Suceava an der rumänisch-ukrainischen Grenze nahe der Stadt Czernowitz aktiv.

ERFAHRUNG Alisa war eine ideale Kandidatin wegen ihrer langjährigen Erfahrung mit Organisationen, die Sommercamps für traumatisierte Kinder aus dem Donbass veranstalten. Ich war skeptisch, da wir pausenlos nach Lösungen für unsere Familie und Bekannte suchten. Mein Schwager und seine Freundin schliefen in einer Kiewer U-Bahn-Station und sollten schnellstmöglich raus aus der Hauptstadt. Freundinnen kamen nach Deutschland und brauchten Unterstützung. Die Cousine flüchtete mit ihrer kleinen Tochter nach Moldawien.

Ich fürchtete, Alisa überfordere sich, wenn sie eine weitere Aufgabe annehmen würde. Doch sie wollte der Familie so nah wie möglich sein, und die Familie waren jetzt über 40 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer. Also sagte Alisa IsraAID Germany zu. Ich würde erst einmal in Berlin bleiben, um bestehende Arbeitsaufträge zu erfüllen, und später als Freiwilliger nachkommen.

Schon nach einer Woche flog ich nach Suceava. Die Welt mag untergehen, aber unsere Beziehung gibt Halt. IsraAID ist vor Ort am Mandachi-Hotel, das seinen Ballsaal zu einer Flüchtlingsunterkunft mit 150 Schlafplätzen umgebaut hat, präsent. Die Unterkunft ist die erste Station für Geflüchtete nach dem Grenzübertritt. Sie kommen aus einem geregelten Leben und sind schockiert, wenn sie die vielen Matratzen sehen. Alisa sagt ihnen, dass die Unterkunft vorübergehend ist, dass die Laken sauber sind und dass es Essen und Spielzeug für die Kinder gibt. Der Aufenthalt hier dauert maximal drei Tage. In dieser Zeit entscheiden die Geflüchteten, in welches Land sie weiterreisen.

Alisa spricht Russisch und Ukrainisch und organisiert Aktivitäten für die Kinder. In der Kunsttherapie drücken sie ihre Gefühle aus. Zum Thema »Was ich liebe« malte ein Vierjähriger seinen Freund in einem Sumpf. Er steckt dort fest und kommt nicht heraus. Am nächsten Tag zeichnete er ein zweites Bild, wo der Freund aus dem Sumpf gezogen wird.

ABSCHIED Geleitet wird der Ukraine-Einsatz von IsraAID Germany von Darya Romanenko (29). Sie ist selbst aus dem ostukrainischen Slowjansk geflüchtet, nachdem sie am 24. Februar vom Lärm einer Explosion geweckt wurde. Ihre Großmutter blieb in Charkiw zurück, da die Straße von russischen Panzern blockiert war.

Schmerzhaft war für Darya, beim Grenzübergang nach Rumänien die Väter zu sehen, die sich von ihren Frauen und Kindern verabschiedeten.

Dabei lebt Darya mit ihrer Familie seit 14 Jahren in Kehl am Rhein. Sie war erst im vergangenen Sommer zurück in den Osten der Ukraine gezogen, um Friedensprojekte des deutsch-russischen Austauschs (DRA) zu leiten. IsraAID Germany lernte sie als Partnerorganisation bei der Arbeit im Donbass kennen.

spenden Darya sammelte Spenden für zerstörte Schulen. Viele der Jugendlichen, mit denen sie vor wenigen Wochen gearbeitet hat, sind jetzt in Mariupol vermisst gemeldet. In Kehl wurde sie durch ihren Auftritt in den »Tagesthemen« zu einer Bekanntheit. Die Lokalpresse berichtete von ihrer Flucht, und sie trat auf Solidaritätskundgebungen auf.

Durch ihren Auftritt in den »Tagesthemen« wurde Darya Romanenko zu einer Bekanntheit.

Neben der Arbeit in der Flüchtlingsunterkunft im Mandachi-Hotel unterstützt IsraAID Germany weitere Unterkünfte in der Umgebung. Ich begleite Alisa und Darya auf einer Inspektion. Wir sehen zumeist gepflegte Camps. Der Schutz von Frauen und Kindern ist ein zentrales Anliegen.

Die Ankommenden müssen umgehend über Anlaufstellen informiert werden, in denen Übergriffigkeit und unseriöse Angebote angezeigt werden können. An der Grenze gibt es bislang keinerlei Informationen darüber. Alle Helferinnen und Helfer sind angehalten, die Augen aufzumachen: Sind unbekannte Männer da, und verhalten sich Frauen und Kinder auffallend ängstlich?

NACHRICHTEN Wir bekommen Nachrichten von Alisas Bruder. Er hat es mit seiner Freundin in den Westen der Ukraine geschafft. Mit Überweisungen helfen wir aus. Sie können kein Bargeld abheben, aber weiter mit der Karte im Laden zahlen. Die Eltern in Mykolajiw haben die Fenster abgedichtet, um sich vor den Druckwellen der Explosionen zu schützen.

Nach einem Monat gibt es so etwas wie eine neue Normalität. Dabei ist genau das die Sorge, dass die internationale Gemeinschaft sich an die Situation gewöhnt.

Was gibt den Helferinnen und Helfern Hoffnung? Für Darya ist es die Hilfsbereitschaft und Solidarität innerhalb der ukrainischen Zivilgesellschaft. Alisa hofft auf die Menschheit – und dass die Kinder trotz allem ihr Herz nicht von Hass erkalten lassen.

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