Interview

»Die Leute haben echte Angst«

Herr Fuchsmann, die Zusammenstöße in der Ukraine werden immer gewalttätiger – mittlerweile wurden mehrere Oppositionelle getötet. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Ich halte alles für möglich. Es gibt Verletzte, es gibt Tote – wie das ausgehen wird, weiß nicht einmal Gott. Oppositionsführer Vitali Klitschko versucht, in Gesprächen mit dem Präsidenten zu einem Kompromiss zu kommen. Ich persönlich finde, dass Ultimaten der Opposition nicht weiterhelfen.

An den vergangenen Wochenenden wurden ein Hebräischlehrer und ein Student in Kiew nach dem Synagogenbesuch angegriffen. Sehen Sie Zusammenhänge?
Ultranationalistische Kräfte sind im Aufmarsch, und es sieht so aus, als ob alles außer Kontrolle geraten ist. Es ist nicht klar, ob die beiden Attacken von der ultranationalistischen Swoboda-Partei ausgingen, aber mit ihrer Rhetorik bereitet diese Partei den Boden dafür. Die Angriffe am 11. und 17. Januar waren eindeutig antisemitisch. Der Student wurde am vergangenen Freitag mit einem Messer angegriffen. Er hat sehr viel Blut verloren und musste im Krankenhaus operiert werden. Und unsere Sicherheitsleute haben vor der Synagoge einen jungen Mann angehalten, der sich offenbar gezielt Notizen über die Wege einzelner Juden zum Gottesdienst gemacht hat.

Wie ist die Stimmung in der Gemeinde?
Die Leute haben echte Angst, in die Synagoge zu gehen. Das hat mir auch Oberrabbiner Yaakov Bleich bestätigt.

Wie können Sie den Juden in Kiew helfen?
Ich habe sofort weitere Leute hingeschickt, um die Sicherheit zu verstärken. Zusätzlich haben wir uns an die ukrainischen Behörden gewandt und den Innenminister gebeten, eine Bewachung der Podolski-Synagoge rund um die Uhr zu garantieren. Bisher ist leider nichts passiert, wohl auch deswegen, weil der Innenminister im Moment versucht, die allgemeine Lage unter Kontrolle zu bekommen. Unsere Organisation, die Jüdische Konföderation der Ukraine, hat auch Briefe an die westlichen Botschafter in Kiew geschickt.

Was steht in dem Schreiben?
Es geht um unsere Forderung, sich von der Swoboda-Partei zu distanzieren und sich nicht mit ihren Politikern an einen Tisch zu setzen. Die Botschafter sollen sich auch entschieden gegen antisemitische Übergriffe äußern. Ich habe in dieser Angelegenheit zusätzlich mit dem Oppositionspolitiker Vitali Klitschko gesprochen. Wir müssen jetzt Alarm schlagen und alles unternehmen, damit solche Vorkommnisse nicht wieder geschehen.

Haben Sie den Eindruck, dass Juden in der Ukraine jetzt verstärkt darüber nachdenken, das Land zu verlassen?
Mit Sicherheit. Viele werden versuchen, auszuwandern. Ich habe auch gehört, dass es möglicherweise auch zusätzliche Flüge aus Israel geben soll, um die Leute zu evakuieren.

Wie sollten sich die Juden in der Ukraine Ihrer Meinung nach positionieren?
Es gibt einen bekannten jüdischen Dissidenten, der die Opposition unterstützt. Ich finde das nicht richtig – ich denke, Juden sollten sich aus dem Konflikt heraushalten, um die Gemeinde zu schützen. Ohnehin wird man versuchen, uns die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Ein Ende der Proteste gegen die Aussetzung der Assoziierung mit der EU ist nicht abzusehen. Sollte sich Ihr Land stärker Europa öffnen – oder seine Beziehungen zu Russland intensivieren?
Die Ukraine und Russland haben eine historische Verbindung, die man nicht einfach mit der Schere trennen kann. Wirtschaftlich gesehen ist eindeutig klar, dass die Ukraine noch viele Jahre lang an Russland gebunden sein wird. 40 bis 50 Prozent aller ukrainischen Exporte gehen heute nach Russland. Man muss die Ukraine wirtschaftlich so aufbauen, dass sie in der Lage ist, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Der Druck aus Russland ist enorm, und der Assoziierungsvorschlag der EU bringt der Ukraine im Moment nicht viel. Mittel- und langfristig gehört die Ukraine zu Europa, aber sie muss zuerst auf die Beine kommen.

Mit dem Präsidenten der Jüdischen Konföderation der Ukraine sprach Ayala Goldmann.

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 05.12.2025

Antisemitismus

Litauen: Chef von Regierungspartei wegen Antisemitismus verurteilt

In Litauen ist der Chef einer Regierungspartei mehrfach durch antisemitische Aussagen aufgefallen. Dafür musste er sich vor Gericht verantworten. Nun haben die Richter ihr Urteil gefällt

 04.12.2025

Ukraine

Alles eine Frage der Herkunft

Wie ein Korruptionsskandal den antisemitischen Narrativen in Russland Vorschub leistet

von Alexander Friedman  04.12.2025

Europa

»Yid Army« im Stadion

Ein neues Buch erklärt, warum Fußballvereine wie Tottenham Hotspur, Austria Wien und Ajax Amsterdam zu »Judenklubs« wurden

von Monty Ott  04.12.2025

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025

Jüdisches Leben im Libanon

Noch immer hat Beirut eine Synagoge, aber die Gläubigen nehmen ab

Einst war Libanon ihr Zufluchtsort, dann kam der Bürgerkrieg, und viele gingen. Doch nach wie vor gehören Juden zu den 18 anerkannten Religionsgruppen im Libanon - auch wenn nur noch wenige im Land leben

von Andrea Krogmann  02.12.2025