Schweden

»Bedroht von Rechten, Linken und Islamisten«

Solidaritätsbekundungen nach den Nazi-Schmierereien in Stockholm Foto: Lennart Blecher

Bestürzung, Wut und Zorn, aber auch die Weigerung, sich als Opfer zu sehen. Das sind die Gefühle, die Ricky David hatte, als sie am Montagmorgen vergangener Woche die blauen und rosa Nazi-Schmierereien an ihrer Schule entdeckte: »Ich habe am ganzen Körper gezittert. Meine Schule! Wer tut so etwas?«

Die Hebräischlehrerin leitet seit 20 Jahren den jüdischen Zweig der Vasa-Real-Oberschule im wohlsituierten Stockholmer Stadtteil Vasastan. »Ich verstand sofort: Es ist ernst«, sagt David, denn auch am benachbarten Cyber-Gymnasium verunstalteten Nazi-Symbole den Eingang. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich zuvor an einer Moschee in Stockholms Süden, und bei einer Frauentagsdemonstration im südschwedischen Malmö gab es eine Messerattacke. An Zufall glaubt niemand mehr – weder jüdische Repräsentanten noch Experten.

Gesetze Lena Posner-Körösi reißt allmählich der Geduldsfaden. »Wir haben Gesetze – höchste Zeit, dass Polizei und Gerichte aufpassen, dass sie auch befolgt werden.« Immer wieder hat die schwedische Zentralratsvorsitzende beschwichtigend auf die Politik gesetzt. Doch nach dem jüngsten Vorfall ist ihr der Ärger deutlich anzumerken. »Die Politik ist sich dessen bewusst, wie bedroht Schwedens Juden sind – von Rechten, Linken und Islamisten. Unsere Sicherheit erfordert mehr Polizeiressourcen, aber auf die politischen Beschlüsse dazu warten wir noch immer.«

Dabei hat das Problem offenbar viele Facetten. »Was hier passiert ist, verletzt uns alle, Juden wie Nichtjuden. Es geht um die Werte unserer offenen, toleranten Gesellschaft«, meint Ricky David. Ähnlich sieht es Calle Nathanson, Chef der Kulturstiftung »Folkets Hus och Parker«. Er ist der Urenkel von Stockholms früherem Oberrabbiner Marcus Ehrenpreis und hat selbst eine Tochter auf der Vasa-Schule. »Was wir dringend brauchen, sind mehr Wissen, Bildung und Kultur. Wir müssen die Geschichte der Schoa immer wieder weitererzählen.«

radikalisierung Doch mit Geschichtsvergessenheit allein sind Taten wie diese kaum zu erklären, vielmehr mit einer allgemeinen Radikalisierung der Gesellschaft. Diese Tendenz hat damit zu tun, dass sich bei immer mehr Schweden Unmut regt gegen die Einwanderungspolitik. Davon profitieren die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Deren Politik wurzelt zwar im Neonazi-Milieu, sie richtet sich aber explizit gegen Muslime und nicht gegen Juden. Das Anwachsen zur drittstärksten politischen Kraft in Schweden ist Ausdruck der Radikalisierung in der Gesellschaft – die sich wiederum Bahn bricht in solchen Hakenkreuzschmierereien. Wer dafür verantwortlich ist, weiß man in der Regel nicht, da die Ermittlungen meist im Sande verlaufen.

»In Schweden und in ganz Europa nehmen rechtsextreme Aktivitäten zu«, so Posner-Körösis Fazit. Besorgt blickt sie auf die Europawahl im Mai. Wie auch immer sie ausgehen mag, fest steht: Die Toleranz im Land nimmt ab – nicht nur gegenüber Juden.

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  18.12.2025

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Australien

Bericht: Die Heldentat von Ahmed Al-Ahmed sorgt auch in Syrien für Jubel

Die Berichterstattung über den »Helden von Sydney« hat auch dessen Heimatort erreicht und bringt Stolz in eine Trümmerlandschaft

 18.12.2025

Berlin

Ehrung von Holocaust-Überlebenden

Die »International Holocaust Survivors Night« ehrt jedes Jahr Überlebende der Schoah. Die virtuelle Veranstaltung hat sich inzwischen zu einer Feier entwickelt, an der Teilnehmende aus fast 20 Ländern mitwirken

 18.12.2025

Sydney

Abschied von jüngstem und ältestem Opfer

Ganz Australien trauert: Die 10-jährige Matilda und der 87-jährige Holocaust-Überlebende Alex Kleytman sind beerdigt worden

 18.12.2025

Faktencheck

Bei den Sydney-Attentätern führt die Spur zum IS

Nach dem Blutbad am Bondi Beach werden auch Verschwörungsmythen verbreitet. Dass der jüngere Attentäter ein israelischer Soldat sei, der im Gazastreifen eingesetzt wurde, entspricht nicht der Wahrheit

 17.12.2025

Analyse

Rückkehr des Dschihadismus?

Wer steckt hinter den Anschlägen von Sydney – und was bedeuten sie für Deutschland und Europa? Terrorexperten warnen

von Michael Thaidigsmann  17.12.2025