Belgien

Bald wieder schutzlos?

Belgische Militärs in der Nähe des Antwerpener Bahnhofs, einem von zahlreichen ultraorthodoxen Juden bewohnten Stadtteil Foto: imago images/Belga

Am 24. Mai 2014, einen Tag vor den Wahlen zum belgischen Föderalparlament, drang ein islamistischer Attentäter in das Gebäude des Jüdischen Museums in Brüssel ein und ermordete vier Menschen. Der Anschlag war nicht nur ein Schock für die jüdische Gemeinschaft Belgiens, er rüttelte auch die Politik wach.

PRÄSENZ Vor Synagogen, jüdischen Schulen und Einrichtungen sowie in den von zahlreichen ultraorthodoxen Juden bewohnten Stadtvierteln Antwerpens sind seitdem des öfteren mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten in Kampfanzügen zu sehen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Zwar hatte unmittelbar nach den blutigen Anschlägen auf die Brüsseler U-Bahnstation Maelbeek und den Flughafen in Zaventem im März 2015 das belgische Militär noch weitaus mehr Präsenz in den Städten des Landes gezeigt – als Hilfssheriffs der Polizei. Doch in jüngster Zeit war die Präsenz der Soldaten auf den Straßen und Plätzen des Landes sichtbar zurückgegangen.

Zuletzt waren nur noch rund 250 Militärs im Innern im Einsatz. Die Föderalregierung plant, bis September die Armee-Unterstützung für die Polizei ganz auslaufen zu lassen. Dieser Plan ist nun auf scharfe Kritik der jüdischen Dachverbände in Belgien gestoßen.

ABSCHRECKENDE WIRKUNG Das flämische Forum Jüdischer Organisationen (FJO) in Antwerpen sowie das Comité de Coordination des Organisations Juives de Belgique (CCOJB), das jüdische Vereine in Brüssel und im französischsprachigen Süden des Landes repräsentiert, äußerten am Mittwoch in einer gemeinsamen Pressemitteilung »tiefe Besorgnis« darüber, dass der militärische Schutz in jüdischen Vierteln und für jüdische Einrichtungen eingestellt werden soll.

Noch gebe es keine alternativen und gleichwertigen Lösungen, die die Sicherheit jüdischer Bürger und jüdischer Einrichtungen gewährleisten könnte, so FJO und CCOJB unisono. Die Patrouillen von Soldaten sei effektiv gewesen und habe »unbestritten auch abschreckend gewirkt«.

Schon in der Vergangenheit habe nicht genügend Polizeipersonal zur Verfügung gestanden, obwohl das Sicherheitsrisiko seit Langem hoch sei. Die Absicht der Regierung, das Militär bald abzuziehen, erhöhe nicht nur das Risiko von neuerlichen Attacken, sondern auch das Gefühl der Unsicherheit unter der jüdischen Bevölkerung.

Die Bedrohungslage für jüdische Einrichtungen sei nach wie vor auf der zweithöchsten Stufe (OCAD 3), betonten die beiden Verbände. Durch die jüngsten Spannungen im Nahen Osten sei es zudem zu zahlreichen antisemitischen Vorfällen in Belgien gekommen. Bislang habe man keine Antwort von den Behörden erhalten, was Alternativlösungen angehe, so FJO und CCOJB.

RECHT AUF SICHERHEIT Die Gemeindevertreter gaben sich offen für andere Lösungen, verlangen allerdings gleichwertigen Ersatz, zum Beispiel angemessen bewaffnete Polizeikräfte in ausreichender Zahl oder eine andere Lösung. Es sei auch nicht Aufgabe der jüdischen Gemeinschaft Belgiens, selbst für ihren Schutz vor Angriffen zu sorgen. »Jeder hat das Recht, in Sicherheit zu leben, und die Regierung hat die Pflicht, ihre Bürger zu schützen«, betonten die beiden Organisationen.

Auch der Vorsitzende der European Jewish Association, Rabbiner Menachem Margolin, äußerte sich kritisch. »Die belgische Regierung war bislang vorbildlich, was den Schutz der jüdischen Gemeinden angeht«, erklärte er. Der Abzug der Soldaten ohne vorherige Rücksprache mit den Betroffenen mache »null Sinn«.

Im Gegensatz zu den Botschaften der USA und Israels hätten die jüdischen Gemeinden keinen Zugriff zum staatlichen Sicherheitsapparat. »Ab sofort stehen wir Juden mit offenen Armen da und haben eine Zielscheibe auf dem Rücken,« so Margolin. Zudem sende das Ganze ein schlechtes Signal an andere europäische Länder, sagte der Rabbiner.

Der jüdische Oppositionsabgeordnete Michael Freilich von der flämischen N-VA hat einen Entschließungsantrag in das Föderalparlament eingebracht, mit dem die Regierung aufgefordert werden soll, für einen angemessenen Ersatz der Soldaten zu sorgen. Mit den zusätzlichen finanziellen Mitteln, so Freilich, wäre es den jüdischen Gemeinden möglich, 20 zusätzliche Sicherheitskräfte einzustellen.

Optimistisch, dass sein Antrag auf die Zustimmung einer Mehrheit stoßen wird, ist der Antwerpener allerdings nicht. »Wenn es um den Schutz von Menschenleben geht, sollte es keine politischen Spielchen geben. Falls die Regierungsfraktionen dagegen stimmen, wäre das ein trauriger Tag für uns alle«, sagte Freilich dieser Zeitung.

München

Europäische Rabbiner sagen Baku-Konferenz aus Sicherheitsgründen ab

Rund 600 Teilnehmer aus aller Welt sind angemeldet. Viel Geld war in die Vorbereitung geflossen

von Imanuel Marcus, Mascha Malburg  28.10.2025 Aktualisiert

Meinung

Antisemitismus der Anständigen

Judenhass in der Schweiz ist brandgefährlich, weil er so höflich und diskret daherkommt

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.10.2025

Meinung

Die SP im moralischen Blindflug

Mit zwei widersprüchlichen Resolutionen beweist die Sozialdemokratische Partei der Schweiz einmal mehr ihre ethische Orientierungslosigkeit

von Nicole Dreyfus  27.10.2025

USA

Der reichste Mann der Welt – für einen Tag

Larry Ellison gehört zu den Großen des Silicon Valley und hält Künstliche Intelligenz für die wichtigste Erfindung der Menschheit

von Sara Pines  26.10.2025

Nachruf

Letzter Kämpfer des Aufstands des Warschauer Ghettos gestorben

Michael Smuss wurde 99 Jahre alt

 24.10.2025

Wien

Nobelpreisträger warnt vor technischer Abhängigkeit von den USA

Joseph E. Stiglitz kritisiert Präsident Trump und ruft Wissenschaft und Medien zur Verteidigung der Medienfreiheit weltweit auf

von Steffen Grimberg  24.10.2025

Polen

Antisemitische Hetzer verhindern Konzert jüdischer Musiker

Der Chor der Pestalozzi-Synagoge in Berlin war eingeladen, in Września gemeinsam mit dem dortigen Kinderchor den Komponisten Louis Lewandowski zu ehren. Nach Hetze und Drohungen wurden alle Veranstaltungen abgesagt

von Sophie Albers Ben Chamo  23.10.2025

Großbritannien

Jiddisch verbindet

Zwischen Identitätssuche, Grammatik und Klezfest. Unsere Autorin war beim Sprachkurs »Ot Azoy« in London

von Sabine Schereck  23.10.2025

Rabbiner Noam Hertig aus Zürich

Diaspora

Es geht nur zusammen

Wie wir den inneren Frieden der jüdischen Gemeinschaft bewahren können – über alle Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg

von Rabbiner Noam Hertig  23.10.2025