St. Petersburg – Wolgograd

Ausharren oder ausreisen?

Polizisten reagieren auf eine nicht genehmigte Kundgebung gegen Russlands Krieg in der Ukraine (St. Petersburg, 13. März). Foto: IMAGO/ITAR-TASS

Tanya und ihre Kollegin arbeiten bei einer jüdischen Sozialorganisation in St. Petersburg. Beide sitzen an ihren mit Papier beladenen Schreibtischen in einem engen Raum und füllen Formulare aus. Nur tragen sie nicht wie gewöhnlich Angaben über ihre betagten Schützlinge und ihnen unterbreitete Hilfsangebote ein, sondern stehen ausnahmsweise selbst im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit: Sie wollen israelische Papiere beantragen.

Berechtigt sind sie dazu beide. Tanya besitzt neben den zwingend vorzulegenden Dokumenten sogar eine Scheidungsurkunde ihrer Eltern mit Passfotos, ausgestellt von einem Moskauer Rabbinatsgericht. Allein das Datum ist für ungeübte Augen nicht zu erkennen, da nur der Gerichtsstempel kyrillische Buchstaben enthält, der Text an sich aber auf Hebräisch verfasst ist.

Auswandern Der Krieg in der Ukraine verunsichert viele Menschen in Russland. Wer jüdische Wurzeln nachweisen kann, hat zumindest die Option, eine Auswanderung nach Israel in Erwägung zu ziehen. Die Wartezeiten im Petersburger israelischen Konsulat betragen nach aktuellem Informationsstand allerdings etwa neun Monate. An eine überstürzte Abreise ist also nicht zu denken. Eigentlich will Tanya gar nicht weg aus Russland, aber sie hat eine fast erwachsene Tochter und ist um deren Zukunft besorgt.

Durch die Sanktionen gegen Russland im Finanzwesen stellt sich derzeit allen Einrichtungen mit ausländischen Fördermitteln die Frage, wie und ob sie überhaupt noch solche Gelder beziehen können.

Wie es mit ihrer Arbeit weitergeht, ist unklar, besser gesagt, mit der Bezahlung. Durch die Sanktionen gegen Russland im Finanzwesen stellt sich derzeit allen Einrichtungen mit ausländischen Fördermitteln die Frage, wie und ob sie überhaupt noch solche Gelder beziehen können. Hinzu kommt, dass es schwer geworden ist, Devisen zu beschaffen, deren Ausfuhr zudem auf 10.000 US-Dollar beschränkt wurde. »Es wird noch so weit kommen, dass wir uns mit nur einem Koffer voller Kleidung auf den Weg machen müssen«, befürchtet Tanya.

PÄSSE Andere hatten in kluger Voraussicht längst israelische Pässe beantragt, aber immer noch die Hoffnung gehegt, bleiben zu können. Bis jetzt. Trotzdem sind nicht alle russischen Juden bereit, trotz Krieg und Sanktionen einen Schlussstrich zu ziehen. Nicht zu vergessen jene, die nach dem Zerfall der Sowjetunion viel dafür investiert haben, damit sich in russischen Städten jüdisches Leben, auch religiöses, wieder einen festen Platz erobern konnte. Panikstimmung will die Föderation jüdischer Gemeinden Russlands jedenfalls vermeiden.

Yael Yoffe, die Leiterin des jüdischen Gemeindezentrums in Wolgograd, sieht bislang keine gravierenden Folgen für ihre weitere Arbeit. Allerdings befürchtet sie, dass zu erwartende Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Waren des täglichen Gebrauchs vor allem Ältere in arge Bedrängnis bringen könnten. Und wenn sich die wirtschaftliche Lage insgesamt verschlechtere, wirke sich das natürlich auch auf die Möglichkeiten der Gemeinde aus, Unterstützung zu leisten.

Paris

Wegen Brief zu Antisemitismus: Frankreich bestellt US-Botschafter ein

Weil er den französischen Behörden Versäumnisse im Vorgehen gegen Judenhass vorgeworfen habe, soll Charles Kushner heute im Außenministerium erscheinen

 25.08.2025

Frankreich

Freizeitpark-Chef verwehrt israelischen Kindern den Zutritt

Der Betreiber des Parks hatte 150 israelische Kinder weggeschickt. Nun wurde er wegen Diskriminierung angeklagt. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft

 24.08.2025

Literatur

Vitaler Verteidiger der Freiheit

Zu seinem 96. Geburtstag beschenkt der wachsame Jahrhundertzeuge Paul Lendvai seine Leser mit einem neuen Buch

von Marko Martin  24.08.2025

Norwegen

Die nördlichste Synagoge der Welt

In Trondheim feiert die Gemeinde ihr hundertjähriges Bethaus. Zum Glück ist die Schabbat-Frage schon lange geklärt

von Elke Wittich  24.08.2025

Raubkunst

Drei Millionen Franken für Bührle-Stiftung

Die Stadt Zürich beantragt Kredit für vertiefte Provenienzforschung der Sammlung Bührle

 22.08.2025

New York

Monica Lewinsky stellt mit Amanda Knox Serie vor

Worum geht es in »The Twisted Tale of Amanda Knox«?

von Lukas Dubro  21.08.2025

Ukraine

Jude, Comedian, Freiheitskämpfer

Selten ist ein Staatsmann so sehr in seinem Amt gewachsen wie Wolodymyr Selenskyj. Die erstaunliche Karriere des ukrainischen Präsidenten

von Michael Gold  21.08.2025

Meinung

Für Juden in Frankreich ist das Spiel aus

Präsident Emmanuel Macrons antiisraelische Politik macht ihn zum Verbündeten der Islamisten und deren linken Mitläufern. Für Juden wird das Leben währenddessen immer unerträglicher

von Haïm Musicant  20.08.2025

Österreich

Jüdische Familie aus Taxi geworfen

In Wien beschimpfte ein Uber-Fahrer seine jüdischen Gäste und attackierte dann den Familienvater

von Nicole Dreyfus  19.08.2025