Mit seinem überraschenden Schritt, noch vor dem Abschluss seines Korruptionsverfahrens um eine präsidiale Begnadigung zu bitten, hat Benjamin Netanjahu die israelische Politik erneut in Aufruhr versetzt. Fünfeinhalb Jahre nach Beginn des Prozesses liegt die Entscheidung nun bei Staatspräsident Isaac Herzog – und sie dürfte zu den folgenreichsten seines Amts gehören.
In einem Video erklärte Netanjahu, das Verfahren zerreiße das Land »von innen heraus«. Der Präsident halte nun die »heißen Kartoffel« in der Hand, sagte er. Doch warum beantragt der Premier eine Begnadigung, obwohl er wiederholt behauptet, die Vorwürfe würden »in sich zusammenfallen«? Und was bedeutet das für die übrigen Angeklagten?
Drei Komplexe
Netanjahu ist in drei Komplexen angeklagt: im sogenannten Fall 1000, der Annahme teurer Geschenke; im Fall 2000, der mutmaßlichen Absprache mit Verleger Arnon »Noni« Mozes; sowie im Fall 4000, der Bevorzugung des Geschäftsmanns Shaul Elowitsch im Gegenzug für wohlwollende Berichterstattung auf dem Nachrichtenportal Walla.
Besonders brisant ist Fall 1000, wie israelische Medien betonen. Laut Anklage erhielt die Familie Netanjahu Luxusgüter im Wert von rund 700.000 Schekel, geliefert von den Unternehmern Arnon Milchan und James Packer. Schwerer wiegt jedoch der Vorwurf, Netanjahu habe als Ministerpräsident und Kommunikationsminister zugunsten Milchlans gehandelt, etwa indem er den damaligen Generaldirektor des Kommunikationsministeriums, Shlomo Filber, anwies, Milchan in Regulierungsfragen zu beraten.
Während Fall 4000 zuletzt an Belastung verloren hat und Fall 2000 juristisch schwieriger zu greifen ist, gilt Fall 1000 weitgehend als intakt – und damit als Gefahr für Netanjahu.
Keine Absprache
Versuche, eine Absprache zu erzielen, gab es bereits. Auch die Richter hatten die Beteiligten ermutigt, sich erneut damit zu befassen. Doch jede Einigung hätte nahezu sicher ein Schuldeingeständnis und die Feststellung der sogenannten moralischen Verwerflichkeit bedeutet – ein Urteilsspruch, der Netanjahus politisches Aus besiegeln würde. Genau das lehnt er ab.
Formal ist eine Begnadigung ein Instrument, mit dem der Präsident nach Abschluss eines Strafverfahrens Härten abmildern kann. Im vorliegenden Fall müsste Herzog allerdings über einen Antrag entscheiden, bevor das Verfahren zu Ende ist – ein extrem ungewöhnlicher Vorgang.
Nach Eingang des Gesuchs wird es im Justizministerium geprüft. Die Pardon-Abteilung sammelt Stellungnahmen verschiedener Behörden, auch der Justizminister gibt eine Einschätzung ab. Danach folgt eine juristische Bewertung im Präsidentenhaus, bevor Herzog entscheidet. Jede Entscheidung könnte vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden.
Netanjahus Argumentation
Der Ministerpräsident verweist auf die politische Lage und auf die Belastung, dreimal pro Woche aussagen zu müssen. Eine Begnadigung, so argumentiert er, könne helfen, »die Nation zu heilen« und die institutionellen Konflikte zu beenden, die der Prozess ausgelöst habe.
Eine mögliche Begnadigung würde die übrigen Angeklagten nicht automatisch entlasten. Das Verfahren gegen sie würde weiterlaufen, die Aussagen Netanjahus blieben Teil der Akten. Sollte er im Rahmen einer Vereinbarung ein Fehlverhalten einräumen, könnte dies direkt gegen die Mitangeklagten verwendet werden.
Die kommenden Wochen entscheiden darüber, ob der Ministerpräsident die juristische Auseinandersetzung hinter sich lassen kann – oder ob Israel vor einer der tiefsten verfassungsrechtlichen Debatten seiner Geschichte steht. ja